Ein delikater Liebesbrief
Titel des Vaters auf einen entfernten Cousin übergegangen, aber die unteilbaren Bestandteile des väterlichen Besitzes hatten sie zu einer reichen Erbin gemacht.
Sie hätte ihre Zeit in London damit verbracht, Blumenbuketts und Geschenke zu erhalten und mit vornehmen Gentlemen wie Darby zu tanzen. Fast hätte Henrietta bei der Vorstellung gelacht. Wer würde einen solchen Mann als Gemahl auch nur in Erwägung ziehen?
Imogen steckte immer noch tief in dem Fantasiebild, das sie entworfen hatte. »Du wärest inzwischen mit einem Herzog verheiratet, Henrietta, und hättest nichts weiter zu tun, als auf prächtige Bälle zu gehen und mit deinem Gemahl zu tanzen. Vielleicht sogar mit Mr Darby!«
»Darby ist kein Herzog«, widersprach Henrietta. »Außerdem würde ich mich wohl kaum in einen Mann verlieben, dem sein Spitzenhalstuch mehr wert ist als seine kleine Schwester.«
Imogen zuckte die Achseln. »Er ist ein feiner Londoner Gentleman, Henrietta, kein Stubenhocker wie du. Stell dir doch nur vor, du wärest in die Gesellschaft eingeführt worden und hättest dann Darby geheiratet. Dann wären diese Kinder jetzt deine Kinder!«
Henriettas Herz tat einen Satz. Kinder haben – und das ohne bei der Geburt ihr Leben aufs Spiel setzen zu müssen. Die kleine haarlose Anabel und die mürrische Josie.
»Gerüchten zufolgte besitzt er jedoch keinen roten Heller«, fuhr Imogen fort. »Das heißt, er wird pleite sein, wenn Lady Rawlings einen Knaben zur Welt bringt, denn dann wird er das Erbe seines Onkels verlieren. Im Augenblick ist er nur so etwas wie ein Erbschaftsanwärter.«
»Diese Art Klatsch gefällt mir ganz und gar nicht«, warf Millicent ein.
»Er kleidet sich nicht gerade in Sack und Asche«, bemerkte Henrietta.
»Ich muss einfach so gut aussehen wie möglich«, verkündete Imogen. »Denkt doch nur, wie wunderbar es wäre, wenn er mich beachten würde. Sylvia Farley würde vor Neid vergehen. Meint ihr, ich sollte Crace bitten, mir Locken zu brennen?« Die Schwestern teilten sich eine Kammerzofe mit Namen Crace.
»Warum in aller Welt solltest du das wollen?«, fragte Henrietta entgeistert. »Deine Locken sind doch von Natur aus wunderschön.«
Imogen betrachtete sich erneut im Spiegel und runzelte die Stirn. »Sie sind aber nicht gleichmäßig. Sylvia hat die tollsten Locken, eine Reihe neben der andern, die lang über ihren Rücken herabhängen. Sie sagt, ihre Zofe mache das mit einem Haareisen.«
»Die Mühe lohnt nicht mehr. Wir müssen uns in zwanzig Minuten auf den Weg machen und Crace wird zornig, wenn man sie hetzt. Ich mag zwar nicht in die Gesellschaft eingeführt worden sein«, sagte Henrietta mit einem schelmischen Lächeln, »aber bei dir ist es ja im Frühjahr so weit, Imogen. Vielleicht wird Darby sich in dich verlieben und dich vom Fleck weg heiraten.«
Imogen sah erstaunt aus. »Es würde sicher viel Spaß machen, mit diesem Mann zu tanzen. Und von ihm ein Kompliment zu erhalten, kann gesellschaftlich nur von Nutzen sein. Aber heiraten würde ich ihn nicht wollen.«
»Warum denn nicht?« Henrietta sah im Geiste Darbys elegante Gestalt und breite Schultern vor sich.
»Weil er zu alt ist. Der Mann muss doch weit über dreißig sein – vielleicht sogar vierzig! Das ist Mutters Alter, nicht meines. Vielleicht muss er sich sogar gleich nach dem Dinner in sein Schlafgemach zurückziehen.« Sie warf ihrer Mutter, die den unverzeihlichen Fehler begangen hatte, Imogen vor Morgengrauen von Lady Whippleseers Festbankett fortzuzerren, einen düsteren Blick zu.
»So alt ist er mir gar nicht vorgekommen«, sagte Henrietta versonnen. Doch dann fiel ihr wieder seine Galanterie ein. »Du hast vermutlich recht. Er hat zu viel von einem …einem Lebemann an sich, um ein geeigneter Heiratskandidat zu sein. Wenn er sich verabschiedet, küsst er einem die Fingerspitzen!«
»Wart’s nur ab, wenn er Selina trifft«, prophezeite Imogen mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. »Wenn er ihre Fingerspitzen küsst, platzt sie aus allen Nähten!«
»Imogen!«, mahnte die Mutter. »Benimm dich!«
Doch Imogen kicherte nur.
7
Lady Rawlings lässt bitten
Als Esme am Abend ihren Salon betrat, fiel ihr Blick als Erstes auf ihren Neffen Mr Darby, der von einer der alteingesessenen Damen der Grafschaft bestens unterhalten wurde. Mrs Davenport hatte vor den hohen Fenstern am Ende des Salons einen Kreis von Bewunderern um sich geschart. Beim Lachen warf sie den Kopf so weit zurück, dass ihre Brüste beinahe aus
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