Ein delikater Liebesbrief
dem Kleid herausfielen und Darby entgegensprangen.
»Oh Gott …«, murmelte Esme nur.
»Mrs Davenport ist schnurstracks auf ihn zugestürzt«, murmelte Helene leise kichernd. »Ich nehme an, sie ist fest entschlossen, den feinen Gentleman, der so unverhofft zu uns gestoßen ist, vollkommen mit Beschlag zu belegen.«
Zu Esmes Verärgerung wirkte Darby völlig gebannt. Er konnte Selinas Unterhaltung unmöglich fesselnd finden, denn diese kannte im Grunde immer nur zwei Themen: sich selbst und ihre erstaunlichen Leistungen auf verschiedenen Gebieten. Wovon manche sogar außerhalb des Schlafzimmers erzielt wurden.
»Darby!«, rief Esme, während sie von hinten an ihn herantrat.
Erschrocken fuhr er herum, dann verneigte er sich und küsste ihr die Hand. »Meine teure Tante«, murmelte er. Seine Stimme hatte einen kühlen Klang.
Helene hat recht, dachte Esme. Er ist nur gekommen, um sich davon zu überzeugen, dass ich einen Bastard gebären werde.
Selina sank in einen Knicks, der ihre Brüste der ganzen Welt zur Ansicht bot – eine Fähigkeit, die auch Esme einst bestens beherrscht hatte, bevor sie ihre jetzige Laufbahn als Zirkuselefantin eingeschlagen hatte.
»Meine Güte«, sagte Selina mit spitzbübischem Lächeln. »Ich hoffe, Sie verübeln mir das nicht, Lady Rawlings, aber Sie nehmen jeden Tag« – kurzes Zögern – »an Schönheit zu.«
Esme lächelte nur. Nach acht Jahren in den gefährlichen Gewässern der Londoner Gesellschaft hatte sie ein messerscharfes Lächeln für ebendiese Situationen kultiviert. »Das ist zu liebenswürdig von Ihnen«, gurrte sie. »Besonders wenn man bedenkt, wie viele wunderschöne Frauen Sie bereits gesehen haben müssen, bevor ich überhaupt auf dem Debütantinnenball tanzte.«
Selinas Lächeln schnappte zu wie ein Fächer.
Esme wandte sich wieder an ihren Neffen. »Darby, wollen wir einen Rundgang durch den Salon machen? Ich hoffe doch, dass Sie recht lange bleiben, deshalb lassen Sie mich die Gelegenheit ergreifen, Ihnen einige meiner hiesigen Bekannten vorzustellen.«
Sie schritten langsam quer durch den Salon.
»Lady Rawlings, ich hoffe, wir sind nicht ungelegen gekommen«, begann Darby. »Ich dachte, den Kindern müsste die Landluft guttun, doch wir wollten Ihre Gastfreundschaft nicht ausnutzen.«
»Ach bitte, nennen Sie mich doch Esme«, sagte sie. »Hier auf dem Lande leben wir weit entfernt von London und seinen Förmlichkeiten. Außerdem sind wir ja verwandt.«
Darby wirkte ob ihrer Worte ein wenig aus der Fassung. »Natürlich«, murmelte er. »Dann müssen Sie aber Simon zu mir sagen.«
»Wie geht es der kleinen Josie? Miles hat mir erzählt, dass es dem armen kleinen Ding besonders schwergefallen ist, den Tod eurer Stiefmutter zu überwinden.«
» Das hat er erzählt?« Darby sah leicht erstaunt aus.
»Nun … ja«, erwiderte Esme. »Er machte sich Sorgen wegen der großen Verantwortung, die auf Ihren Schultern lastet, da Sie so unerwartet die Elternrolle übernehmen mussten. Ich hoffe nur, ich werde es ebenso gut machen wie Sie, das Kleine ohne Miles großzuziehen.«
Darby starrte auf Lady Rawlings’ Hand, die auf der gewaltigen Wölbung ihres Leibes ruhte.
Schwanger war sie zweifellos. Nie im Leben hatte er eine derart schwangere Frau zu Gesicht bekommen. Esme Rawlings, die einst maßgeblich die Gesellschaft dominiert hatte, war bereits jetzt so dick wie eine Frau, die innerhalb der nächsten zwei Tage niederkommen sollte. Es konnte nur ein Bastard sein, denn Miles hatte seiner Frau mit Sicherheit nicht beigewohnt, bevor er im Juli zu der verfluchten Hausgesellschaft gereist war.
Seine Tante musste ihm diese Gedanken vom Gesicht abgelesen haben, denn sie führte ihn in die Halle und von dort aus in die Bibliothek.
»Warum sind Sie gekommen, Simon?« Sie nahm auf einer Samtcouch Platz.
Darby schaute ihr einen Moment forschend ins Gesicht, perplex angesichts der Veränderungen, die er an ihr feststellte. Er hatte sie als sinnliche Göttin mit köstlichen Kurven und glänzenden schwarzen Locken in Erinnerung gehabt. Jetzt sah sie aufgebläht und müde und gänzlich reizlos aus.
Bevor er anheben konnte, sagte sie unerwartet: »Es ist wirklich Miles’ Kind.«
Darby verneigte sich. »Das habe ich auch keinen Augenblick in Zweifel gezogen.«
»Natürlich haben Sie das.« Sie zwinkerte ihm zu und erinnerte Darby damit an die hinreißende Frau, die bei ihrem Debüt in ganz London Aphrodite genannt worden war. »Ich nehme Ihnen das nicht übel. Aber
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