Ein delikater Liebesbrief
ertragen konnte. »Darby muss ein sehr … lüsterner Mann sein, Liebes. So schamlos, wie er dich geküsst hat – und das in aller Öffentlichkeit!«
»In der Tat«, bestätigte Henrietta mit dumpfer Stimme.
»Er wäre gewiss ein höchst lästiger Ehemann.« Jetzt bewegte Millicent sich wieder auf sicherem Terrain. »Er … er hätte deine Gesellschaft vielleicht öfter als einmal in der Woche gewünscht, Liebes. Und das wäre im Laufe der Jahre unendlich ermüdend geworden. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
Henrietta erhob sich und küsste ihre Stiefmutter auf die Wange. »Ich glaube, ich werde jetzt ein langes heißes Bad nehmen. Und ich verspreche dir, dass wir Mr Darby nie mehr erwähnen werden.«
Millicent fand, dass das Haar ihrer Stieftochter in diesem Moment durch ihren Tränenschleier wie gesponnenes Gold aussah. »Es tut mir so leid, dass ich dir all diese schrecklichen Dinge eröffnen musste. Es bricht mir das Herz, dass du nicht heiraten und schwanger werden kannst.« Wieder kamen ihr die Tränen. »Du bist so hübsch und du würdest wunderschöne Kinder bekommen und …«
Henrietta beugte sich zu ihr hinab und wischte die Tränen fort. »Es ist am besten so, Millie«, sagte sie beschwichtigend und sprach sie mit dem Kosenamen an, den sie ihrer Stiefmutter als Kind gegeben hatte. »Ich würde Mr Darby auf lange Sicht niemals genügen. Er ist viel zu elegant für mich und ich bin ihm zu offenherzig. Vermutlich würde ich mich eines schönen Tages über ihn ärgern und wir würden uns bitterlich streiten.«
»Ich hoffe, es ist dir nicht unangenehm, wenn du ihn wiedersiehst.«
Henrietta lächelte, wenn auch verhalten. »Warum sollte es mir unangenehm sein? Wir kennen uns doch kaum.« Damit rauschte sie hocherhobenen Hauptes aus dem Zimmer.
Sie begab sich sogleich in ihr Schlafgemach, weil sie fand, dass sie jetzt weinen sollte – wenn überhaupt. Doch dann hinderte sie ihr gesunder Menschenverstand daran, sich aufs Bett zu werfen und in Tränen auszubrechen. Sie kannte den Mann doch kaum! Warum sollte sie um ihn weinen?
Da erkannte sie, dass ihr vorherrschendes Gefühl Scham war, weil sie für die Ehe nicht taugte. Die Erinnerung daran, wie sie ihren Leib an Darby gepresst hatte, war ihr nun furchtbar peinlich. Kein Wunder, dass er geglaubt hatte, sie wäre reif für eine Verführung – falls dies der richtige Begriff dafür war.
Jedoch … wenn Henrietta an den Kuss zurückdachte, konnte sie nicht ganz verstehen, warum Millicent über die eheliche Liebe so harsch urteilte. Mit Darby, so schien es Henrietta, dürfte es nicht unbedingt so abscheulich sein. Wenn es einen Mann gab, mit dem es ein angenehmes Erlebnis sein konnte, dann war es Darby.
Er jedoch würde bei ihr kein Vergnügen finden können. Henrietta setzte sich vor den Spiegel. Was für ein Pech, dass sie Mamas Haar und Gesichtszüge geerbt hatte! Wäre sie reizlos, ja sogar hässlich gewesen, hätte Mr Darby sie gar nicht erst bemerkt. Daran sah man doch, wie oberflächlich er war, dass er nur auf ihre äußeren Reize ansprach. Er mochte ihr honigfarbenes Haar, das immerhin hatte er ihr gestanden. Vielleicht erregten ja auch noch andere Teile ihres Körpers sein Interesse, dachte sie bei der Erinnerung daran, wie weit seine Hände hinuntergeglitten waren.
Das Schlimmste, so gestand sie sich ein, war nicht, Mr Darby zu verlieren. Vielmehr ließ die Aussicht, dass kein Mann auf der ganzen Welt, nicht einmal ein Witwer, sie zur Frau nehmen würde, ihr Herz zu Stein werden. Kein Mann würde sich jemals in sie verlieben. Der einzige Liebesbrief, den sie je erhalten würde, war von ihr selber verfasst worden. All ihre Träume von einem Mann ohne Kinderwunsch waren nichts weiter als Luftschlösser gewesen.
Henrietta schluckte schwer und verbot sich zu weinen. Der Liebesbrief lag gefaltet auf ihrer Frisierkommode. Sie berührte ihn leicht mit den Fingerspitzen. Sie kannte Darby jetzt besser als zu dem Zeitpunkt, da sie den Brief geschrieben hatte. Wenn er einen Liebesbrief verfassen würde, wäre dieser weitaus derber und zugleich humorvoller. Leidenschaftlich und zärtlich zugleich.
Fast hätte Henrietta erneut nach der Feder gegriffen. Doch was nützte es, noch einen Brief zu schreiben? Er würde lediglich die schöne Fantasie, die sie sich ausgemalt hatte, ein wenig verlängern. Und wenn sie noch so viele Briefe schrieb – kein Mann würde sie zur Frau wollen. Es war höchste Zeit, ihre Jungmädchenträume aufzugeben, über den Ritter
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