Ein delikater Liebesbrief
nicht übertrieben empfindlich, denn er trug keine Handschuhe, und sein Haar war viel länger als das der Männer in Wiltshire. Ein Band hielt es im Nacken zusammen.
Lady Winifred beäugte den Mann geradezu schamlos. »Das ist Lady Rawlings’ Neffe, nicht wahr? Ich bin mir fast sicher, dass ich ihn letzte Saison in London getroffen habe. Sie wissen ja, dass Darby Rawlings’ Erbe ist, oder zumindest war, bis Lady Rawlings die ersten Anzeichen der Schwangerschaft zeigte. Bestimmt ist er aufs Land gekommen, um ihre Niederkunft abzuwarten.«
»Eine sehr unschöne Auslegung seines Besuches«, stellte Henrietta trocken fest, während eine ganze Schar Damen sich auf Darby stürzte.
Eine Frau mit einer hochaufgetürmten Frisur, die nur von ihrer das Gesicht beherrschenden Nase in den Schatten gestellt wurde, verstellte ihm den Weg wie ein Eisberg einem Schiff. »Ich bin Mrs Barret-Ducrorq von Barret Park«, verkündete sie. »Ich glaube, wir haben uns in der vergangenen Saison auf Mrs Crawshays Hauskonzert kennengelernt.«
Darby machte einen Diener. »Ich fürchte nicht, Madam, da ich nicht das Vergnügen habe, mit Mrs Crawshay bekannt zu sein.«
»Nun, aber irgendwoher kenne ich Sie?«, tat die Dame mit schriller Stimme kund. »Vielleicht war es bei Bessie – bei Lady Panton, meine ich.«
Die Frau konnte Elizabeth Panton gar nicht kennen. Lady Panton war so förmlich, dass sie selbst auf einem schlichten Hauskonzert einen gefiederten Kopfputz trug. Es war daher unmöglich, dass sie sich von irgendwem Bessie nennen ließ. Aber welchen Sinn hätte es gehabt, dieser im Brustton der Überzeugung vorgebrachten Behauptung zu widersprechen?
»Sie haben vermutlich recht«, murmelte Darby und küsste der Dame die Hand. »Wenn ich … äh, Bessie … das nächste Mal sehe, werde ich sie darauf ansprechen.«
Mrs Barret-Ducrorq brach in einen wirren Wortschwall aus, überglücklich, dass sie ihre Freundschaft mit einem der tonangebenden Dandys der Gesellschaft kundgetan hatte. Darby ließ ihr Geplapper über sich ergehen und beschränkte sich darauf, an den geeigneten Stellen zu nicken, während er sich verstohlen im Salon umsah. Korpulente Gutsherren mit ihren herausgeputzten Ehefrauen saßen an den Tischen. Letztere fächelten sich eifrig Luft zu. Nur wenige junge Frauen waren anwesend, ausnahmslos farblose Mädchen mit hängenden Schultern und roten Nasen. Und die laszive Matrone, die er bereits beim Eintreten kennengelernt hatte: Mrs Davenport. Oder vielmehr Selina, denn auf dieser intimen Anrede hatte sie bereits nach einer Minute bestanden.
Endlich erspähte Darby die Frau, die er am Nachmittag im Dorf kennengelernt hatte. Selbst aus der Entfernung konnte er sehen, dass Lady Henrietta ebenso unmodisch gekleidet war wie bei ihrer ersten Begegnung. Die Farbe ihres Kleides verlieh ihrem Haar einen seltsam grünlichen Schimmer. Dennoch verspürte er ein leises Interesse, die Bekanntschaft zu vertiefen.
Mrs Barret-Ducrorq hatte mehrere Damen um sich geschart und begann, Darby nun als ihren Busenfreund anzupreisen, als versteigerte sie ein kostbares Perlhuhn. Sie stellte ihn Mrs Colville und Mrs Cable vor (woher hatte das Frauenzimmer nur diese hässliche Stola?), dann Mrs Gower. Bald war Darby von einem Zirkel von Damen umgeben, die ihn über Ereignisse in der Stadt sowie die neueste Mode ausfragten. Unglücklicherweise war ihm sein Ruf als Richter in Modefragen aufs Land vorausgeeilt.
»Ich fürchte, dass ich von Perlen wenig verstehe«, beeilte er sich zu versichern und verneigte sich wohl zum hundertsten Male. »Schuhe? Nun ja, Damenschuhe … in dieser Saison trägt man sie unbedingt passend zur Pelisse.«
In diesem Augenblick drängte sich Selina Davenport in den Kreis und beugte sich vor, sodass ihre Brüste erneut fast aus dem Ausschnitt quollen.
»Mr Darby, ich brenne darauf, ein bisschen Londoner Klatsch zu hören«, sagte sie neckisch. »Da Krankheiten und Todesfälle in der Familie mich davon abhielten, werde ich London erst im kommenden Frühjahr wieder besuchen können.« Sie fächelte sich heftig Luft zu, während sie den schönen Gentleman über den Fächerrand hinweg verheißungsvoll anstarrte. »Sicher können Sie uns Fesselndes über Rees Holland, den Earl Godwin, berichten.« Nun streiften ihre Brüste fast Darbys Rock. »Stimmt es, dass er sich eine Opernsängerin ins Haus geholt hat?«
»Rees und ich sind schon so lange befreundet, dass solche Dinge für uns uninteressant sind«, erwiderte Darby.
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