Ein delikater Liebesbrief
vergaß alles. Henrietta keuchte, als seine Zunge in ihren Mund drang, und Wunder über Wunder, ihr steifer Körper entspannte sich ein wenig. Und kurz darauf legte sich ein schlanker Arm um seinen Hals.
Wie sich herausstellte, war Henrietta Maclellan ein Naturtalent im Küssen. Weit davon entfernt, ihre Lippen zusammenzupressen, als müsste sie die Kronjuwelen hüten, begann sie nun, seinen Kuss so spielerisch zu erwidern, dass Darby das Blut in den Adern kochte. Ihre Überraschung, die er fast hatte schmecken können, verflüchtigte sich und sie keuchte nun leise und heftig, als ob ihr Busen vor Verlangen brennen würde.
Als er von ihrem Mund abließ und seine Lippen über ihre Wange wanderten, hielt sie die Augen geschlossen und machte auch keine fröhliche Bemerkung. Stattdessen gab sie einen leisen Laut der Enttäuschung von sich, und Darby beeilte sich, wieder zu ihrem lockenden weichen Mund zurückzukehren, den sie ihm darbot.
Schließlich öffnete er erneut die Augen … und sah die langen Wimpern, die ihre Wangen beschatteten, so zart wie ein Saum aus feinster Seide, und ihre klare Stirn, ihre cremeweiße zarte Haut, das Grübchen in ihrer rechten Wange. Im Schutze des Zweispänners rutschte seine Hand herab zu ihrem köstlich gerundeten Gesäß, und obwohl die Hand rasch wieder zu ihrer Taille zurückkehrte, seufzte sie doch in seinen Mund, und er spürte, wie ein neuerlicher Schauer ihren schlanken Leib durchlief.
Irgendein entfernter Teil seines Gehirns registrierte das Rumpeln einer vorbeifahrenden Kutsche, deren Passagiere zweifellos von dem Schauspiel fasziniert waren, das sich ihnen bot. Eine leise Stimme warnte ihn, dass er sich erdreistete, eine Jungfrau von edler Herkunft zu küssen, und zwar mitten auf der Dorfstraße.
Als ob Henrietta seinen Gedanken gespürt hätte, nahm sie ihren Arm von seinem Nacken und schlug die Augen auf. Diese hatten die Farbe einer Sommernacht, ein wunderbares Dunkelblau. Schweigend schaute sie ihm einen Moment in die Augen. Ihre Lippen waren von seinen Küssen geschwollen, doch am erstaunlichsten waren ihre Augen.
Wo war die züchtige prüde Lady Henrietta geblieben, die scharfzüngige Jungfer, die ungefragt Ratschläge zur Kindererziehung gab und stets offen ihre Meinung kundtat?
Die Frau, die vor ihm stand, schien vor Verlangen zu vergehen, sie wirkte beinahe so sinnlich wie jene Frauenzimmer, die sich vor der Oper verkauften. Henrietta schwankte, sank gegen ihn, und er fing sie auf, fing sie mit seinem ganzen Körper auf und presste sie so fest an sich, wie er nur konnte.
Erst als sie ihn wieder küsste, war Darby in der Lage, zwei und zwei zusammenzuzählen. Was er addierte, waren ein klopfendes Herz – seines, ein Paar zitternde Beine – seine – und ein süßer Mund …ihrer.
Diese drei Dinge und dazu die wachsende Gewissheit – nie gefühlt in den mehr als dreißig Jahren, die er bereits auf Erden weilte –, dass er unbedingt mit dieser Frau das Bett teilen musste, wenn er nicht vor Verlangen sterben wollte.
Zwei und zwei ergaben …
… eine Ehe.
Dies war die Frau, die Darby heiraten würde, und wenn er nicht höllisch aufpasste, würde er ihr auf der Stelle die Unschuld rauben.
15
Auf frischer Tat ertappt
Eine der ersten gesellschaftliche Regeln lautet, dass es unpassend ist, einen Heiratsantrag zu machen, wenn man sich gerade an einen Zweispänner lehnt, ein Stallbursche zusieht und eine Menge Kutschen vorbeifahren. Die zweite Lektion für einen Mann besagt, dass jegliche Verwandtschaft es durchaus nicht schätzt, ihre weiblichen Familienangehörigen in einer derart unziemlichen Lage anzutreffen.
Darby war gerade zu der Erkenntnis gelangt, dass er seine zukünftige Frau küsste, als er ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern spürte. Er drehte sich um – und blickte geradewegs in die zornblitzenden Augen seiner zukünftigen Schwiegermutter.
»Lady Holkham, welche Freude!«, grüßte er und löste sich widerwillig von Henrietta.
»Mr Darby!«, fuhr sie ihn an. » Henrietta! «
Darby stellte mit großer Befriedigung fest, dass die sonst so gefasste Henrietta wie betäubt schien.
»Meine Güte«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Ich habe gar nicht gewusst, dass du ins Dorf fahren wolltest, Millicent.«
»Das merke ich«, erwiderte die Stiefmutter grimmig. »Ich bin gerade auf dem Heimweg.«
»Ich würde dich ja gern begleiten, doch ich muss dringend zu Miss Pettigrew in die Schule.«
Henrietta vermied es, Darby in die Augen zu
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