Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
findet.
    Ginette richtete sich halb auf. Cheng setzte sich neben sie und ließ sich von ihr in die Arme nehmen. Einen Moment bestanden die beiden Personen zur Gänze aus Ruhe und Harmonie. Welche sich nicht zuletzt daraus ergab, daß genau an der Stelle, an der Chengs linker Arm fehlte, Ginette Rubinstein einen Teil von sich wie in einer Nische abstellte. Einen perfekten Teil in einer perfekten Nische.
    Als Ginette dann nach einer Weile zu sprechen begann, tat sie dies mit einer Sorgsamkeit, als lege sie ein Fotopapier über das andere: »Ich habe was für dich. Ein Mann war hier.«
    »Aber geh?« sagte Cheng, wie man sagt: Und die Maniküre gibt’s wirklich umsonst?
    »Ich soll dir diesen Zettel geben, wenn du nach Hause kommst«, erklärte Ginette, besagtes Papier aus ihrem Buch ziehend.
    »Nach Hause?« staunte Cheng.
    »Ja, er schien bestens informiert.«
    »Das muß Smolek gewesen sein.«
    »Ein älterer Herr«, erklärte Ginette, »höflich, freundlich, ein bißchen verwahrlost.«
    »Sag jetzt nicht«, meinte Cheng, »daß auf dem Zettel eine vierstellige Zahl steht.«
    »Keine Zahl, Schatz«, sagte Ginette. »Aber mit vierstellig liegst du schon richtig. Gratuliere!«
    Ginette reichte Cheng ein handspiegelgroßes, zerknittertes und leicht vergilbtes Papier. In einer Schrift, die mehr gespuckt als geschrieben wirkte, waren untereinander vier Begriffe notiert. Alle vier benannten Zahnarten. Da stand: Eckzähne, Schneidezähne, Vorbackenzähne, Backenzähne.
    »Oha!« staunte Cheng. »Mit so was habe ich eigentlich nicht gerechnet.«
    »Sondern?«
    »Mit einer Zahl, einer Formel, einem Gedicht, einem Geständnis. Mit etwas Dramatischem, etwas Endgültigem.«
    »Man kann nicht wissen«, meinte Ginette, »was in einem Zahn alles steckt.«
    »Damit hast du auch wieder recht. Ich muß mir das überlegen.«
    »Tu das. Aber nicht zu lange. Ich geh mal ins Badezimmer. Wir sehen uns dann im Bett, gut?«
    »Sehr gut«, sagte Cheng und nahm einen Schluck Wein. Über den Glasrand hinweg betrachtete er Ginette, wie sie den Raum verließ. Sie besaß einen schönen Gang. Den Gang großer Frauen, die aber nicht so groß waren, daß sie ständig gegen Türstöcke prallten oder den Eindruck machten, über tote Männer zu steigen.
    Die Katzen hatte Cheng vergessen. Die Katzen vergaß er die meiste Zeit. Sie mußten sich schon selbst in Erinnerung bringen, was sie nun auch taten. Denn während Cheng den Zettel mit den vier dentalen Begriffen studierte, vernahm er ein dreiblätteriges Geräusch, das sich aus dem Geschnurre der kartäusischen Geschwistergruppe zusammensetzte. Cheng hob den Kopf. Und nun sah er sie: Frau Kremsers Katzen, nicht umzubringen. Auch nicht durch Frau Dussek, die sich übrigens nicht wieder beruhigt hatte und in dieselbe Anstalt gebracht worden war, in der auch Nora Janota wortlos vor sich hin dämmerte. Dort würde die alte Dussek bis ans Ende ihrer Tage toben und den österreichischen Staat verfluchen können. Und niemand würde es kümmern.
    Cheng blinzelte hinüber zu den dreien, die auf einer nestartig aufgebauschten Decke einen kompakten, haarigen Haufen bildeten. Keine Frage, Smolek hatte nicht nur den Zettel vorbeigebracht, sondern auch die drei Katzen. Gut möglich, daß genau zu dieser Zeit die Polizei im Haus gewesen war, um den Keller nach ihm abzusuchen.
    Nun, für Smolek wäre es besser gewesen, er hätte das kleine Papier nicht gefunden. So wie es besser gewesen wäre, er hätte sich festnehmen lassen. Wie es schien, hatte er die Bereitschaft seiner Schwester Lilith unterschätzt, im Ernstfall einen radikalen Schlußpunkt zu setzen. Allerdings, so gänzlich unvorstellbar war ihm diese Möglichkeit vielleicht doch nicht gewesen. Wieso hätte er sich sonst die Mühe gemacht, die Notiz in Rubinsteins Wohnung abzuliefern? Aus purer Verspieltheit? Ein letztes Mal den kleinen Gott gebend?
    Cheng überlegte. Was hatten die vier Begriffe zu bedeuten?
    Ihm fiel nun wieder ein, daß Lilith davon gesprochen hatte, daß allein der Kater mit dem Namen Helios von Bedeutung sei. Nicht aber die beiden Weibchen. Zudem war auch Kurt Smoleks allerletzter Ausruf zu bedenken: Helios’ Zähne!
    Helios’ Zähne also. Cheng erhob sich und näherte sich dem Knäuel aus drei Katzen. Der Kater Helios war auch ohne Blick auf sein Geschlechtsteil sofort auszumachen. Bei Kartäuserkatzen gilt die Regel, daß die Männchen nicht bloß größer und fetter sind, sondern auch einen ganz speziellen belemmerten

Weitere Kostenlose Bücher