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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Verderben gestürzt hätte. Wer hätte ihn jetzt noch für unschuldig halten können, wo die aus der Mappe Pochs gestohlenen Kassenscheine, wenn auch nicht in seinem Besitz, doch in den Händen Wladimir Yanofs gefunden worden waren? Dieser hatte bei den Bankiers ja angegeben, daß er die Scheine mit der von Nicolef aufbewahrten Summe von diesem erhalten habe.
    Erschüttert von dieser Mitteilung, weinten Jean und Ilka heiße Tränen.
    In diesem Augenblicke meldete das Dienstmädchen, daß einige Polizisten nach Herrn Dimitri Nicolef zu fragen da seien. Vom Untersuchungsrichter auf die Denunziation Frank Johausens hin abgesendet, waren sie gekommen, den Mörder aus dem »Umgebrochenen Kreuze« zu verhaften.
    Die Nachricht von der bevorstehenden Verhaftung hatte sich in der Stadt noch nicht verbreitet. Niemand wußte, daß die vielbesprochene Angelegenheit eine neue Wendung… voraussichtlich die letzte, genommen habe, mit der diese bald eine endgültige Erledigung finden müßte.
    Während die Polizisten das ganze Haus absuchten und sich dabei überzeugten, daß Nicolef jetzt nicht darin war, eilten Jean und Ilka, ohne vorherige Verabredung, sondern nur von dem gleichen Gefühle getrieben, auf die Straße.
    Sie wollten den Unglücklichen aufsuchen, ihn auf keinen Fall verlassen, und trotz der erdrückendsten Beweise, die sich mehr und mehr angesammelt hatten, weigerte sich eine Stimme ihres Innern, ihn für schuldig zu halten. Ihre zu Freud und Leid verbundenen Herzen empörten sich bei dem Gedanken an seine Schuld, obgleich die letzten Worte Nicolefs: »Ich bin verloren!… Bin verloren!« wie ein Geständnis klangen, das ihm wider Willen entschlüpft wäre.
    Jetzt war es schon Nacht geworden. Mehrere Leute hatten Nicolef durch die Vorstadt hineilen sehen. Wladimir, Ilka und Jean liefen schnell in derselben Richtung hin und erreichten die alte Umwallung der Stadt. Vor ihnen lag nun das offene Land in tiefer Finsternis. Sie schlugen die Straße nach Pernau ein, indem sie einem gewissen Instinkte folgten, der sie nach dieser Seite hintrieb.
    Zweihundert Schritte weiterhin blieben alle drei vor einem auf dem Fußwege der Straße liegenden Körper stehen.
    Das war Dimitri Nicoles. Neben ihm lag ein blutiges Messer.
    Ilka und Jean warfen sich über die Leiche ihres Vaters, während Wladimir nach dem nächsten Hause eilte, um Hilfe herbeizuholen.
    Einige Bauern kamen bald mit einer Tragbahre, und Nicolef wurde in sein Haus geschafft, wo der schleunigst herbeigerufene Doktor Hamine nur noch die Ursache des plötzlichen Todes feststellen konnte.
    Dimitri Nicolef war ganz ebenso verletzt, wie damals Poch, durch einen Stich ins Herz, und das Messer hatte im Umkreis der Todeswunde einen ganz ähnlichen Eindruck hinterlassen, wie der, der an der Leiche des Bankbeamten gefunden worden war.
    Der Unselige hatte sich verloren gefühlt und durch Selbstmord geendet, um der Strafe für sein Verbrechen zu entgehen.
Fünfzehntes Kapitel.
Auf einem Grabe.
    Es war also abgeschlossen, dieses traurige Kriminaldrama, das die Bevölkerung der baltischen Provinzen so tief erregt und sie am Vorabend, wo sich die Parteien auf dem Wahlkampfplatze messen sollten, nur noch weiter erhitzt hatte. Noch einmal sollte die deutsche Partei, nach dem gewaltsamen Tode des Schildhalters der Slawen, den Sieg davontragen. Der Streit zwischen beiden Lagern loderte aber sicherlich früher oder später von neuem auf, und endete voraussichtlich erst nach der völligen Russifizierung des Landes unter dem Drucke der Regierungsgewalt.
    Und Dimitri Nicolef hatte sich nicht allein entleibt, nein, der unter so schrecklichen Verhältnissen verübte Selbstmord erlaubte auch nicht mehr, an seiner Schuld zu zweifeln, seitdem die gestohlenen Kassenbilletts so unerwartet zum Vorschein gekommen waren. Er besaß also, als er Riga auf das Schreiben Wladimir Yanofs hin verlassen hatte, das ihm anvertraute Depot überhaupt nicht mehr. Ob er aber den Sohn seines Freundes aufgesucht habe, um ihm die ganze Wahrheit einzugestehen, oder ob er wegen Mißbrauchs des ihm geschenkten Vertrauens habe flüchten wollen… das war jedenfalls schwierig zu entscheiden. Dagegen konnte man wohl annehmen, daß Nicolef durch das unerwartete Auftauchen des aus den sibirischen Bergwerken entflohenen Verbannten überrascht worden sei und erkannt habe, daß er jetzt in eine Lage gekommen sei, in der seine Ehre für immer auf dem Spiele stand, da er einerseits Wladimir Yanof die ihm von seinem Vater

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