Ein Drama in Livland
Popen von Riga her, einem siebzigjährigen, von der gesamten orthodoxen Bevölkerung hochverehrten Greise, bei dem auch Ilka mehrmals den Seelentrost gesucht hatte, den allein die Religion zu bieten vermag.
Der Pope forderte die Geschwister auf, sich an demselben Tage in der fünften Nachmittagsstunde auf dem Rigaer Friedhof einzufinden.
Der Doktor Hamine und Wladimir Yanof, die eine gleichlautende Zuschrift erhalten hatten, begaben sich schon zeitig am Vormittage nach dem Hause Dimitri Nicolefs.
Jean wies ihnen den von dem Popen Axief unterzeichneten Brief vor.
»Was mag diese Einladung zu bedeuten haben, sagte er, und warum sollen wir uns alle gerade auf dem Friedhofe einfinden?«
Der Friedhof war derselbe, wo die sterblichen Überreste Dimitri Nicolefs beigesetzt worden waren, ohne daß sich die Geistlichkeit an dem stillen Begräbnis des Selbstmörders beteiligt hatte.
»Was meinen Sie, Herr Doktor? fragte Wladimir.
– Ich denke, wir müssen dahin gehen, wohin der Pope uns gerufen hat. Er ist ja ein ehrwürdiger, weiser und kluger Diener des Herrn, und wenn er uns diese Einladung zugehen ließ, wird er schon seine ernsten Gründe dazu gehabt haben.
– Gehst du auch mit, Ilka? fragte Wladimir, indem er sich an das bisher stillschweigende junge Mädchen wendete.
– Ich habe schon mehrmals auf dem Grabe meines armen Vaters gebetet, antwortete Ilka. Ich werde mitkommen, und Gott möge uns erhören, wenn der Pope Axief seine Gebete mit den unsrigen vereinigt.
– Wir werden Punkt fünf Uhr auf dem Rigaer Friedhofe sein,« versprach der Doktor Hamine.
Darauf zog er sich mit Wladimir zurück.
Jean und Ilka trafen zur festgesetzten Stunde auf der Ruhestätte der Toten ein und fanden hier ihre Freunde, die sie schon an der Eingangspforte erwartet hatten. Alle begaben sich nun nach der Stelle, wo Dimitri Nicolef beerdigt war.
Auf dem Grabhügel kniend, betete der Pope für die Seele des Ünglücklichen.
Bei dem Geräusche sich nahender Schritte hob er den schönen, silberweißen Kopf und richtete sich in voller Höhe auf. Seine Augen leuchteten in außergewöhnlichem Glanze, und er streckte die Hände aus als Zeichen, daß die Geschwister, der Doktor Hamine und Wladimir sich nähern möchten.
Als Wladimir und Ilka jedes an einer Seite des schmucklosen Hügels standen, begann der Pope:
»Ihre Hand, Wladimir Yanof.«
Darauf wandte er sich an das junge Mädchen:
»Und Ihre Hand, Ilka Nicolef.«
Die beiden Hände legte er über dem Grabe ineinander. Die ruhige Kraft seines Blickes, der Ausdruck der Güte in seinen Zügen genügte dazu, daß Ilka ihre Hand in der Wladimirs ruhen ließ.
Dann sprach der Pope mit ernster Stimme die einfachen Worte:
»Wladimir Yanof und Ilka Nicolef, Ihr seid vor Gott dem Herrn verbunden.«
Das junge Mädchen war kaum Herrin ihrer Erregung, die sie antrieb, ihre Hand zurückzuziehen.
»Lassen Sie die Hand nur da, wo sie ist, sagte der Pope sanft, sie gehört dem, der Sie liebt…
– Mich, rief Ilka stöhnend, mich, die Tochter eines Mörders?
– Nein, die eines Unschuldigen, den nicht einmal der Vorwurf des Selbstmordes trifft! antwortete der Pope, der beteuernd die Augen zum Himmel erhob.
– Und der Mörder?… fragte Jean.
– Ist der Inhaber des ‘Umgebrochenen Kreuzes’… der Schenkwirt Kroff!«
Sechzehntes Kapitel.
Die Beichte.
Am Tage vorher war der Schenkwirt Kroff von einer Art Lungenschlag befallen worden und diesem nach wenigen Stunden erlegen.
Seit fünf Monaten von schweren Gewissensbissen gefoltert, hatte er vor seinem Ableben noch den Popen Axief rufen lassen, der auch herbeigeeilt war, seine Beichte zu hören.
Diese Beichte hatte der Pope niedergeschrieben und Kroff hatte sie mit seinem Namen unterzeichnet. Nach seinem Ableben sollte das Geständnis veröffentlicht werden.
Das entsprach einer Verurteilung Kroffs und einer Wiederherstellung der Ehre Dimitri Nicolefs.
Aus dem ausführlichen Geständnis des Verbrechers wird man sehen, durch welche Verkettung von Umständen es Kroff möglich geworden war, die Verantwortlichkeit für das Verbrechen von sich auf das Haupt Nicolefs abzuwälzen.
In der Nacht vom 13. zum 14. April waren Dimitri Nicolef und Poch nach dem Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuze’ gekommen.
Als der Schenkwirt, dessen Geschäfte schon seit längerer Zeit recht schlecht gingen, die Geldmappe Pochs sah, stieg in ihm der Gedanke auf, den Bankbeamten zu bestehlen. Vorsichtshalber wollte er damit warten, bis der andere Reisende,
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