Ein Drama in Livland
kenne doch Ilka schon lange, sie wird bei ihrem Entschlusse beharren.
– O, lieber Herr Doktor, rauben Sie mir nicht das letzte Restchen von Hoffnung, das ich mir bewahrt habe!… Sie wird sich meinen Bitten fügen!
– Niemals, Wladimir, bei ihrem so unbeugsamen Charakter. Sie fühlt sich entehrt, und wird nie Ihre Gattin werden, da sie die Tochter eines Mörders ist.
– Wenn sie das aber am Ende doch nicht wäre, rief Wladimir. Wenn ihr Vater jenes Verbrechen doch nicht begangen hätte?«
Der Doktor Hamine wendete den Kopf ab, da er auf diese jetzt ja gelöste Frage nicht antworten konnte.
Wladimir raffte sich zusammen, so daß er alle Selbstbeherrschung wiedergewann, und erklärte fast feierlichen Tones, aus dem ein unverrückbar feststehender Entschluß herausklang:
»Ich habe Ihnen, lieber Doktor, hierüber nur noch eines zu erklären: ich betrachte Ilka als mein Weib vor den Augen Gottes, und ich werde warten…
– Warten? Worauf, Wladimir?
– Daß Gottes Hand noch eingreifen werde.«
Mehrere Monate vergingen ohne jede Veränderung der Sachlage. In den verschiedenen Bevölkerungsklassen der Stadt hatte man sich über den Vorfall allmählich beruhigt. Niemand sprach mehr davon. Die deutsche Partei hatte bei den städtischen Wahlen den Sieg davongetragen. Frank Johausen, der wieder gewählt worden war, gab sich den Anschein, als ob ihn die Familie Nicolef überhaupt nichts anginge.
Jean und Ilka erinnerten sich freilich der Schuldverschreibung, die ihr Vater dem Bankier ausgestellt hatte, und stimmten völlig darin überein, daß es ihre Pflicht sei, sein Andenken wenigstens von diesem Makel zu reinigen.
Das erforderte natürlich einige Zeit. Sie mußten das Wenige, was sie besaßen, zu Gelde machen, das väterliche Haus und die Büchersammlung des Lehrers und überhaupt alles verkaufen, was sich nur veräußern ließ. Wenn sie auch das Letzte opferten, was sie besaßen, reichte es vielleicht hin, die Ehrenschuld zu tilgen.
Was nachher geschehen sollte, würden sie ja sehen. Ilka konnte vielleicht Unterricht erteilen, wenn jemand ihr, wäre es auch in einer anderen Stadt, Vertrauen schenkte, und Jean könnte den Versuch machen, in einem Handelshause Stellung zu finden.
Zunächst galt es freilich, die nötigsten Lebensbedürfnisse zu decken. Ihre Hilfsquellen begannen zu versiegen. Die kleinen Ersparnisse, die Ilka von dem Verdienste ihres Vaters gemacht hatte, gingen von Tag zu Tag mehr zu Ende. Die Veräußerung all ihres Besitzes mußte also schnell erfolgen, und dann wollten Bruder und Schwester überlegen, ob sie in Riga blieben oder nicht.
»Und der Mörder?…« fragte Jean. (S. 229.)
Nach der bestimmten Absage des jungen Mädchens hatte Wladimir Yanof, schon aus Rücksichten des Anstandes, natürlich das Haus verlassen müssen. Er blieb aber in derselben Vorstadt und nur wenige Schritte davon entfernt wohnen und besuchte es ebenso fleißig, als wenn er noch selbst zu dem Hause des unglücklichen Lehrers gehört hätte. Hier ging er mit seinem Rate zur Hand, das kleine Besitztum vorteilhaft zu verkaufen, um die Gebrüder Johausen voll befriedigen zu können. Natürlich bot er dazu auch an, was ihm von dem väterlichen Erbteil übrig geblieben war. Ilka wollte aber nichts davon annehmen.
In seiner Bewunderung dieser Seelengröße, dieses Adels des Charakters, die ihm das junge Mädchen noch begehrenswerter machten, bat er sie, ihrer Verehelichung zuzustimmen, nicht auf der Anschauung zu beharren, daß sie seiner unwürdig sei, und sich endlich dem Zureden der Freunde ihres Vaters zu fügen; doch nichts konnte er von ihr erreichen, nicht einmal eine Hoffnung auf die Zukunft… alles scheiterte an ihrem unveränderlichen Willen.
Der Doktor Hamine, der wiederholt Zeuge der Verzweiflung Wladimirs gewesen war, versuchte mehrmals, Ilka anderen Sinnes zu machen, es gelang ihm aber ebensowenig, wie den Bitten Wladimirs.
»Die Tochter eines Mörders, antwortete sie, kann nicht die Gattin eines ehrenwerten Mannes werden!«
Dieses Geld vergrub er am Fuße eines Baumes in dem Tannenwalde. (S. 230.)
In der Stadt waren diese Verhältnisse vielfach bekannt. Jeder bewunderte des Mädchens energische Natur, der von allen Seiten Anerkennung gezollt und tiefes Mitleid entgegengebracht wurde.
Nun verstrich längere Zeit, ohne daß die Lage der Dinge eine Veränderung erfuhr. Da traf am 17. September ein an Jean und Ilka Nicolef gerichteter Brief ein.
Das Schreiben rührte von dem
Weitere Kostenlose Bücher