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Ein dunkler Ort

Ein dunkler Ort

Titel: Ein dunkler Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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beschreiben können. Ohne Zögern bewegte sie sich auf den Schreibtisch zu. Ihre ausgestreckte Hand berührte die Lehne des Schreibtischstuhls. Sie griff darüber hinaus und spürte die flache, glatte Fläche des Schreibtisches unter der Handfläche. Sie tastete sich über einen Stapel Papier, einen Computer – und fand, was sie gesucht hatte.
    Das Telefon.
    Im Dunkeln würde sie die Ziffern nicht sehen können, aber das spielte keine Rolle. Wenn sie nur genug Tasten drückte, würde sie irgendwann die Vermittlung erreichen.
    In einer Minute , dachte sie, nur noch eine Minute, dann höre ich Tracys Stimme. Oder die von ihrer Mutter oder ihrem Vater. Und dann würde sie sagen: »Hier ist Kit – ich werde in Blackwood gefangen gehalten. Helft mir! Ihr müsst mir helfen!« Ihre Hand zitterte, als sie den Hörer aufnahm und die Tasten unter ihren Fingern spürte. Sie war so voller Erwartung und hatte schon zum Sprechen Luft geholt, als ihr auffiel, dass sie gar kein Freizeichen hörte. Stumm und tot lag der Hörer an ihrem Ohr.
    Einen langen Augenblick stand sie regungslos da und versuchte, das Telefon mit ihrem Willen zum Leben zu erwecken. Dann senkte sie langsam den Arm und ließ den Hörer aus der Hand auf den Tisch fallen. Es schepperte laut. Was machte das schon. Jetzt war alles egal.
    »Das war unsere einzige Chance«, sagte Kit leise. »Unsere letzte Chance.«
    Und so eine Chance würde es nie wieder geben, mit so viel Durcheinander und Aufregung, mit Leuten, die in verschiedene Richtungen liefen, und Bürotüren, an die niemand dachte und die unverschlossen blieben. Es war ein einmaliges Ereignis. Bis die Telefonleitung wieder in Ordnung gebracht worden war, würde alles im Haus wieder seinen normalen Gang gehen und das Büro wäre wieder vor Eindringlingen geschützt.
    Wenn ich Sandy wäre, würde ich auch hysterisch werden , dachte Kit. Ich würde mich einfach hinstellen und kreischen und lachen und den Kopf gegen die Wand hauen. Oder weinen. Ich glaube, ich könnte von jetzt bis in die Ewigkeit weinen – und ich hätte immer noch Tränen.
    Aber weil sie nun einmal sie selbst war, tat sie nichts von all dem. Sie stand einfach nur auf den Schreibtisch gestützt in der Dunkelheit und wartete auf das Unvermeidliche. Madame würde mit den Kerzen in den Salon kommen, und sobald Professor Farley merkte, dass Kit nicht bei ihr war, würde irgendjemand auf die Suche nach ihr geschickt werden. Und wer das auch war, er würde nicht lange überlegen müssen, um zu wissen, wo er sie finden konnte. Es war eine Sache von Minuten. Auf dem Flur hinter der Tür wurde es heller, Schritte näherten sich. Dann wurde plötzlich der Schein einer Taschenlampe auf ihr Gesicht gerichtet.
    Jules sagte: »Kit! Was machst du hier?«
    Der Lichtschein wanderte über den Schreibtisch, wo der Hörer neben dem Telefon lag. Sie konnte hören, wie Jules nach Luft schnappte.
    »Du hast telefoniert?«
    »Klar.« Kit versuchte ihre Stimme in der Gewalt zu behalten. »Ich habe die Polizei gerufen. Die ist unterwegs, sag deiner Mutter lieber, dass sie das Tor aufmachen muss, Jules.«
    »Warum hast du nicht wieder aufgelegt?« Jules kam in den Raum und nahm den Hörer vom Tisch. Er hielt ihn einen Moment lang ans Ohr, dann legte er ihn wieder auf die Gabel.
    »Netter Versuch«, sagte er. Seine Stimme klang merkwürdig sanft. »Die Leitung muss zusammengebrochen sein. Komm, Kit. Wir gehen zurück zu den anderen.«
    »Ich will nicht zurück«, sagte Kit. »Ich will nicht mit deiner Mutter und dem Professor in einem Raum sitzen, als wären das ganz normale Leute.«
    »Kit, bitte. Ich wünschte, du würdest anders empfinden.« Er versuchte ihr den Arm um die Schultern zu legen, aber Kit befreite sich und sorgte dafür, dass der Schreibtischstuhl zwischen ihnen stand.
    »Okay«, sagte Jules steif. »Wenn du es nicht anders willst, bringe ich dich auf dein Zimmer. Das wirst du mich doch wohl tun lassen, ohne Taschenlampe findest du dich sonst nie zurecht.«
    Er leuchtete über den Teppich und ließ den Lichtstrahl auf die Wand gegenüber treffen.
    Der Lichtkegel bewegte sich über einen Haufen Bilder und blieb an einem Gemälde hängen, das am Aktenschrank lehnte.
    Beide brauchten eine Weile, bis sie ihre Stimme wiederfanden.
    Dann sagte Jules leise: »Oh Gott.«

ACHTZEHN
    »Wer war das? Wer hat dieses … Ding gemalt? Das kann nicht von Lynda sein.«
    »Ist es aber«, flüsterte Kit. »Wer sollte es sonst gewesen sein?«
    Wie hypnotisiert starrte sie

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