Ein Earl kommt selten allein (German Edition)
könnte. Er vermutete, dass es dumm war, denn schließlich war er der wahre Richard Fairgrave, der Earl von Radnor. Allerdings hatte sich George mehr als ein Jahr lang als er ausgegeben, und alle hatten sich an ihn gewöhnt. Richard war sich ganz sicher gewesen, dass jemand bemerken würde, dass er irgendwie anders war, vielleicht, was seine Verbindlichkeit oder seine Höflichkeit betraf, oder sein weniger beißendes Benehmen. Er war tatsächlich überrascht und sogar ein bisschen beleidigt gewesen, als er begriff, dass es niemandem aufgefallen war. Ihm gefiel die Vorstellung, dass er sich von seinem Bruder so deutlich unterschied, dass jemand etwas merken müsste, und er konnte seinen leicht verstimmten Ton nicht ganz unterdrücken. »Niemand schien zu bemerken, dass irgendetwas an mir anders ist oder nicht stimmt.«
Daniel lächelte schief und zuckte mit den Schultern. »Die Leute sehen, was sie erwarten. Und abgesehen davon habe ich in der Zeit, als du dem Angestellten für den Tee gedankt hast, mit Lord Sherwood gesprochen. Ich habe ihm gesagt, ich sei froh, dass du deine seltsame Stimmung, die dich seit dem Tod deines Zwillingsbruders im letzten Jahr im Griff hatte, wieder abgeschüttelt hast«, gestand Daniel. »Er sagte, er hätte schon gehört, dass du wieder zu dir kommen würdest und sogar auf einem Ball gewesen wärst. Ich würde mir also nicht zu viele Sorgen machen. Es scheint, als würde die Eigentümlichkeit, die man bei dir bemerkt hat, einfach der Tatsache zugeschrieben, dass du endlich über die Trauer hinwegkommst, die dich angeblich im letzten Jahr gequält hat.«
»Na, das ist doch immerhin was«, sagte Richard ironisch und zog am Ärmel seines hellgrünen Mantels. Er verzog das Gesicht. Er verabscheute die Farbe, aber dies war von allen noch der beste Mantel gewesen. »Ich muss meine Garderobe wirklich erneuern.«
»George hatte schon immer einen schlechten Geschmack, was seine Kleidung betraf«, sagte Daniel trocken und musterte Richard. »Wieso halten wir nicht auf dem Weg zum Stadthaus beim Herrenschneider an?«
Richard zögerte; sein Gewissen riet ihm, sofort zum Stadthaus zurückzukehren und die Untersuchungen voranzutreiben. Aber er wollte nicht, dass Christiana glaubte, er würde ihr nicht zutrauen, das Dienstpersonal zu befragen, und er würde wohl kaum irgendwelchen Klatsch erfahren, der sich um ihn selbst drehte. Eigentlich gab es keinen Grund, nicht beim Schneider anzuhalten, also nickte er und befahl dem Fahrer, die Richtung zu ändern.
»Wie gefällt dir die Ehe bisher?«, fragte Daniel, als sich Richard auf seinem Platz zurücklehnte.
»Es ist nicht einmal ein ganzer Tag vergangen«, erklärte Richard amüsiert.
Daniel zuckte mit den Schultern. »Christiana wirkt schrecklich misstrauisch. Ich glaube, sie hat Angst, dass du plötzlich anfängst, sie zu kritisieren und mit ihr zu schimpfen, wie George das wohl getan hat.«
Richard nickte; es überraschte ihn nicht, dass sein Freund das Misstrauen bemerkt hatte, das häufig wie ein Schatten über Christianas Augen lag. Es war fast ständig dort, und sie schien es nur in den Momenten ganz beiseitezuschieben, wenn er ihre Leidenschaft entfachte. Dann konnte sie alles vergessen, und es gab nur noch die Lust, die sie gemeinsam genossen. Sie vertraute ihm also zumindest mit ihrem Körper, und dies machte ihm Hoffnung, dass sie ihm irgendwann auch ganz vertrauen würde. »Die Zeit wird helfen, den Schaden rückgängig zu machen, den George angerichtet hat. Wenn sie sieht, dass ich mich nicht verändere und auch nicht versuche, sie zu verändern, wird sie sich entspannen und mehr sie selbst sein.«
Daniel nickte und sagte mit einem Grinsen: »Immerhin hat sie heute Morgen schon damit angefangen, als sie sich mit bloßen Füßen ein Wettrennen mit Lisa geliefert hat.«
Richard lächelte bei der Erinnerung. Es hatte ihn überrascht. Christiana war so höflich und geziert gewesen, als sie aufgewacht war, ganz im Gegensatz zu der warmen, leidenschaftlichen Frau, mit der er erst Stunden zuvor geschlafen hatte. Tatsächlich war er enttäuscht gewesen, als er sie am Morgen geküsst hatte und sie seinen Kuss nicht erwidert hatte. Er hatte sich Sorgen gemacht, dass es auf ihre gemeinsame Zukunft hinweisen könnte. Würde sie bei Nacht die eine Frau sein – warm und leidenschaftlich als Geliebte im Bett – und während des Tages eine ganz andere, die vorsichtig, misstrauisch und schicklich war? Nicht dass es nichts Schlimmeres auf der Welt
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