Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
bereits, Mr. Charters.«
Als Rebus die Zelle verließ, sagte er sich, dass Charters dem Gefühl, das er bei der Ermittlung, Willie und Dixie und gegenüber dem Leben allgemein hatte, einen Namen gegeben hatte.
Der Name war Zugzwang .
Als sein Telefon klingelte, war es vier Uhr früh. Er wachte auf, ließ es aber klingeln. Um vier Uhr früh konnten es nur schlechte Nachrichten sein. Der Anrufer ließ aber nicht locker, und zu guter Letzt nahm Rebus ab.
»Mr. Rebus?«
Eine junge Stimme, nassforsch, angetrunken. Im Hintergrund laute Musik und Stimmen: eine Party.
»Ja?«
»Paul hier. Paul Duggan.«
»Paul, nett, von dir zu hören.«
»Ist es spät? Ich hab keine Uhr an.«
»Scheint ja’ne tolle Party zu sein, Paul. Gib mir doch die Adresse, und ich schau mit ein paar Uniformierten vorbei.«
»Seien Sie nicht so, Mr. Rebus. Ich hab gute Neuigkeiten für Sie. Ich weiß, wo sie ist.«
»Kirstie Kennedy?«
»Genau.«
»Geht’s ihr gut?«
»Nicht schlecht für einen Junkie.«
»Kann ich mit ihr reden?«
»Hören Sie, sie bleibt eisern dabei, dass sie nicht wieder nach Hause geht. Sie sagt, ihre Stiefmutter ist eine Irre.«
»Ich möchte sie treffen. Davon, dass sie wieder nach Hause müsste, ist überhaupt nicht die Rede.«
»Ich weiß nicht,« sagte Duggan zweifelnd.
»Paul, leg nicht auf! Hör mal, würde sie mit mir reden, wenn ich ihr Geld gebe?«
»Ich red mit ihr. Ich kann nichts versprechen, aber ich red mit ihr ein paar Takte, mal sehen, was sie sagt.«
»Tu mir nur einen Gefallen. Ruf nächstes Mal tagsüber an, ja?«
»Wenn Sie Glück haben, rufe ich Sie vielleicht sogar nüchtern an.«
33
Es war acht, als das Telefon wieder klingelte.
»Ja?«, krächzte er mit trockenem Mund.
»John?« Es war die Stimme des Farmers.
Jetzt kommt’s, dachte Rebus. »Morgen, Sir. Was soll’s sein: Verwarnung, Suspendierung oder Entlassung?«
»Zum Teufel mit Ihnen, John! Ich habe Ihretwegen ein fürchterliches Wochenende hinter mir.«
»Tut mir Leid, Sir. Ich habe nie beabsichtigt, Ihnen Schwierigkeiten zu bereiten.«
»Genau das ist Ihr Problem, Inspector - Sie sind egozentrisch, es gibt kein anderes Wort dafür. Ich glaube, Sie wissen verdammt genau, dass Sie mit Ihren fixen Ideen am
Ende immer jeden in Ihrer Umgebung in Mitleidenschaft ziehen, Freund, Feind und unbeteiligte Bürger.«
»Ja, Sir.«
»Aber das lässt Sie völlig kalt, stimmt’s?« Rebus gab keine Antwort. Der Farmer hatte seine Rede offenbar gründlich einstudiert. »Hauptsache, Ihren privaten Moralvorstellungen wird Genüge getan. Und im Übrigen kann die Welt ruhig untergehen, habe ich Recht?«
»Manchmal empfinde ich tatsächlich so, Sir«, antwortete Rebus leise.
»Nun, vielleicht sollten Sie Ihre Moralvorstellungen ein wenig überdenken, denn die sind nichts, wonach ich mein Leben ausrichten möchte.«
»Das brauchen Sie auch nicht, Sir. Ich tu’s.«
»Jedenfalls müssen Sie einen ganz besonderen Schutzengel haben, anders kann ich’s nicht sagen.«
Rebus runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
»Ich habe mich wegen der Sache mit dem D.C.C. unterhalten. Er meinte, er würde sich in Ihrem Namen beim Lord Provost entschuldigen. Er sagte außerdem, er glaube, die Aufsichtsbehörde würde wohl doch nicht uns, sondern die F-Truppe unter die Lupe nehmen.«
Die F-Truppe, also die Abteilung F, Livingston. »Was sagen Sie da, Sir?«
»Ich sage, dass ich Sie schleunigst wieder hier haben will. Die Ferien sind vorbei. Melden Sie sich heute Vormittag in meinem Büro.«
»Da hab ich einen Termin beim Zahnarzt.«
»Schön, dann heute Nachmittag.«
»Ja, Sir.«
»Sagen Sie, John, hatten Sie irgendwie Kontakt mit dem D.C.C.?«
»Ich habe Urlaub gemacht, Sir.«
»Ja, aber trotzdem?«
»Tja, kann sein, dass wir uns irgendwann mal am Pool getroffen haben...«<
Es war wieder so ein schauderhafter Tag. Zwar kein Schnee oder Frost, aber ein eisiger Wind und plötzliche Regengüsse aus einem tristen, wolkenschweren Himmel. Es war ein Gefühl, als stecke die Stadt in einer Kiste und jemand habe den Deckel zu fest darauf gepresst.
Rebus’ zweite Sitzung bei Dr. Keene war nicht so traumatisch wie die erste. Man gewöhnte sich eben an alles. Der Eiter war schön herausgeflossen, und Keene machte die Wurzelbehandlung, während Rebus sich auf das Foto an der Decke konzentrierte. Er suchte Paul Duggans sämtliche Immobilien zusammen. Vielleicht hatte Duggan gar nicht so Unrecht: Niemand konnte ihm nachsagen, er beute
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