Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
bin noch nicht mal eine Woche auf dem Posten, und schon hast du den übelsten Schlamassel angerichtet. Was glaubst du wohl, wie ich jetzt dastehe?«
»Das hat mit dir rein gar nichts zu tun.«
»Scheiße, und ob es das hat! Es hat alles mit mir zu tun. Du bist einer meiner Leute. Wie zum Teufel soll ich arbeiten können, wenn der Chief Super nichts anderes im Kopf hat, als wann du die nächste Bombe zünden wirst?«
Rebus nickte verständnisvoll. »Darum geht’s also. Du bist stinkig, weil der Farmer dir nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt. Du möchtest einen guten Eindruck machen, und du machst nicht mal einen schlechten .«
»Jetzt verdrehst du mir die Worte im Mund.«<
»Ach ja?« Er packte sie an den Armen. »Sieh mir ins Gesicht und sag es noch einmal. Sag, dass es nicht stimmt.«
Sie riss sich los. »John«, sagte sie, jetzt ruhiger. »Ich bin hierher gekommen, um dich zu warnen. Morgen könnte dein letzter Tag bei der Polizei sein.«
»Und du glaubst, das kümmert mich?« Er versuchte, gleichgültig zu klingen. Sie trat einen Schritt näher. »Ja«, sagte sie leise, »das glaube ich allerdings.« Ihre grünen Augen schienen sich in ihn hineinzubohren. »Ich glaube, dass du tief in dir drin Angst hast.«
»Angst?« Er lächelte. »Natürlich hab ich Angst. Ich würd ja nichts sagen, wenn irgendein übler Schläger in einer dunklen Gasse auf mich losginge oder jemand einen Killer auf mich angesetzt hätte. Aber das hier ist schlimmer, das macht mir eine Scheißangst.«
»Dann lass die Finger davon. Sag ein paar Leuten, dass es dir Leid tut, und komm wieder arbeiten.«
Wieder lächelte er. »So einfach wär das, nicht? Du würdest es tun.«
»Ja, das würde ich.«
»Schön, ich werd’s mir durch den Kopf gehen lassen.«
Sie versuchte abzuschätzen, wie ehrlich er das meinte, aber da hätte man ebenso gut versuchen können, Nebel zu wiegen.
32
Big Jim Flett war nirgends zu sehen.
»Selbst der große Boss braucht ab und zu eine Auszeit«, sagte sein Stellvertreter, während er Rebus einen Korridor der Haftanstalt Saughton entlangführte.
»Versteht sich«, erwiderte Rebus, obwohl ihm völlig klar war, dass der Gefängnisdirektor ihm aus dem Weg ging. Er hatte Rebus angelogen, und jetzt wusste er, dass Rebus das wusste.
»Derry bekommt nicht häufig Besuch«, erklärte der Vize. Er war ein forscher, nervöser Mann mit gesunder Gesichtsfarbe, trug kein Jackett und hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt.
»Sie kennen ihn also?«
»Wir haben uns ein paarmal unterhalten.«
»Ich hab gehört, er sei nicht gerade kontaktfreudig.«
»Das stimmt, aber ich habe ihn immer als sehr freundlich erlebt.«
»Er hat doch wohl noch nicht versucht, Ihnen etwas zu verkaufen, oder?«
Der Vize lachte. »Nein, noch nicht. Aber er gäbe schon einen verdammt guten Vertreter ab.«
»Wie ist er denn so?«
»Meist sehr ruhig, macht nie irgendwelchen Ärger.« Sie näherten sich einer Stahltür, neben der ein Wärter stand. Der Mann drehte den Schlüssel herum und zog die Tür auf.
»Und Sie möchten bestimmt nicht, dass ich bleibe?«, fragte der Vize. Rebus schüttelte den Kopf, aber mit einem freundlichen Lächeln. »Schön, wenn Sie fertig sind, bringt Munro Derry wieder in seine Zelle.«
»Noch mal danke«, sagte Rebus.
Die Tür schloss sich hinter ihm, und der Schlüssel klirrte im Schloss. Rebus war allein mit Derwood Charters.
Charters ging mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf, als grübelte er über ein Problem nach, im Raum auf und ab.
»Spielen Sie Schach?«, fragte er, ohne die Augen zu heben.
»Nein.«
»Schade.«
Rebus sah sich im Zimmer um. Es gab einen - am Fußboden festgenieteten - Tisch und zwei Stühle. Die Tafel, die an einer Wand hing, stellte den einzigen Versuch dar, den Raum irgendwie zu verschönern.
»Was dagegen, wenn ich mich setze?«, fragte Rebus.
»Machen Sie es sich bequem.« Charters lächelte über seinen kleinen Scherz. Er fuhr fort, im Zimmer auf und ab zu gehen, und Rebus beobachtete ihn dabei. Charters war Mitte vierzig, groß, breitschultrig und tadellos gepflegt; sein Scheitel wie mit dem Lineal gezogen, sein Gesicht glatt rasiert. Seine Fingernägel sahen manikürt aus.
»Wissen Sie, was Zugzwang bedeutet?«
»Klingt deutsch«, antwortete Rebus.
Zum ersten Mal sah Charters ihn an. »Natürlich ist das Deutsch. Es ist ein Schachbegriff. Er bezeichnet eine Situation, in der man gezwungen ist zu ziehen, aber jeder mögliche Zug zu einer Katastrophe führt.
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