Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
entlang und weiter auf die Holyrood Road. Das war ein deprimierender Teil der Stadt; lauter unbebaute Grundstücke und verlassene Lagerhallen. Das Younger Universe machte Fortschritte und würde, wenn man der Werbung Glauben schenkte, alles wieder gutmachen. Rebus hoffte, dass es ein Erfolg werden würde; ihm gefiel die Symbolik des Ganzen: Die USA hatten Disneyland, und Schottland bekam seinen Vergnügungspark von einer Brauerei spendiert. Der Themenpark würde direkt neben Holyrood Palace liegen, der Edinburgher Residenz der britischen Monarchen. Auch das gefiel Rebus irgendwie.
»Wo fahren wir hin?«
»Parken Sie einfach am Palasttor.«
Zu dieser Zeit des Jahres ging das problemlos; im Sommer war der Platz blockiert von Reisebussen. Vor dem verschlossenen Tor stand ein kleines Mädchen und starrte zwischen den Gitterstäben hindurch auf den Palast.
»Hupen Sie mal«, befahl Duggan. Rebus tat’s, aber ohne erkennbaren Erfolg.
»Sie ist auf einem anderen Planeten.« Duggan kurbelte das Fenster herunter. »Hey, Kirstie!«
Langsam drehte sich das »kleine Mädchen« um, und Rebus blickte in ein Gesicht, das weit älter aussah als der Körper, auf dem es saß. Niemand hatte ihn vorgewarnt, dass Kirstie Kennedy so dürr, so klein sein würde. Als sie auf
das Auto zukam, war ihr Gesicht so starr wie Beton. Lippenstift, Lidschatten und Make-up versahen sie mit einer undurchdringlichen Maske. Sie trug enge schwarze Jeans, die ihre Zahnstocherbeine noch dünner erscheinen ließen, und einen langen unförmigen schwarzen Pullover, dessen Ärmel über ihre Hände hinausreichten. Ihr schulterlanges schwarzes, fettiges Haar war hinten zusammengebunden. Ein paar strähnige blutrot gefärbte Ponyfransen hingen ihr in die Augen. Sie kaute Kaugummi. Sie öffnete die hintere Tür und stieg ein.
»Hallo, Kirstie«, sagte Rebus. »Wo möchtest du hin?«
»Ich will Eis essen.«
Rebus dachte zuerst an Luca’s, aber das war zu weit weg. »Tollcross?«, schlug er vor.
Tollcross war ihr recht.
Als sie in der Eisdiele saßen, bestellte Kirstie die üppigste Kreation, die die Karte zu bieten hatte, und dazu eine Riesencola. Im Lokal war wenig los: ein altes Ehepaar, das Kaffee trank; eine gestresste Mutter, die mit ihren sich über zwei Becher knallbunter Eiscreme hinweg streitenden Kinder schimpfte.
Rebus hatte für sich Kaffee bestellt, Duggan Orangensaft und Apfelkuchen mit Sahne. Rebus erinnerte sich, dass er früher oft mit der kleinen Sammy hergekommen war. Er sah die Tochter des Lord Provost an und versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass sie erst siebzehn war.
»Paul meint, Sie wollten quatschen.« Ihre Stimme verriet eine Schulbildung, die keine Pose übertünchen konnte. Rebus merkte, dass sie sich ihren Straßenakzent, ihren Unterschichtslang erst kürzlich angeeignet hatte.
»Wie lang bist du schon auf Dope, Kirstie?«
»Sie meinen auf Merry?«
Duggan sah Rebus an. »Merry Mac, Crack«, erklärte er.
»Lang genug«, antwortete Kirstie.
»Lang genug, um genug davon zu haben?«
»Lang genug, um zu wissen, dass man nie genug davon hat.« Ihr Eisbecher kam: drei verschiedene Sorten mit Schokoladensoße, Nüssen, eingemachten Pfirsichen und Waffeln. Rebus bekam vom bloßen Anblick Zahnweh.
»Dein Daddy macht sich Sorgen«, sagte er.
»Na und?«
»Deine Mum auch.«
Sie zuckte so plötzlich zusammen, dass ihr beinah ein Mund voll Eis auf den Tisch gefallen wäre. »Meine Mum ist gestorben, als ich fünf war. Was Sie meinen, ist ›diese Frau, die mit meinem Dad zusammenlebt‹.«
»Okay.«
»Haben Sie sie mal gesehen?«
»Nein.«
»Sie hat’n Sprung in der Schüssel, aber einen, der sich gewaschen hat.«
»Du kommst also nicht mit ihr klar. Bist du deswegen abgehauen?«
»Braucht man dafür’n Grund?«
Rebus zuckte die Achseln. »Nur dass die meisten Teenager, die abhauen, nach meiner Erfahrung ein ganzes Stück weiter kommen.«
»Sie meinen, nach London? Hat mir nich gefallen. Meine Freunde sind alle hier.«
»Du meinst, Freunde wie Willie und Dixie?«
Sie legte den Löffel auf den Teller und nahm einen Schluck Cola. »Willie mochte ich. Dixie war durchgeknallt. Man wusste nie, was er als Nächstes tun würde, aber Willie war in Ordnung.«
»Hast du gehört, was sie getan haben?«
Sie nickte.
»Du hast diesen Kranz für sie auf die Brücke gelegt, stimmt’s?«
Wieder ein Nicken. Sie tunkte den Finger in die Schokoladensoße und versuchte, sich einen Dreck um alles zu scheren, aber
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