Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
Paracetamol und Mundspülung. Er ging die Post noch einmal durch. Es war aber nichts von einem Krankenhaus oder Rehazentrum dabei.
Dann rief er Professor Gates an und fragte nach den Blutuntersuchungen.
»Die Ergebnisse liegen mir noch nicht vor. Irgendwelche Probleme?«
»Möglicher Heroinmissbrauch«, antwortete Rebus. »Wenigstens bei einem der beiden.«
»Ich könnte mir die Leichen noch einmal vornehmen. Nach Einstichstellen hatte ich ehrlich gesagt nicht gesucht.«
»Würden Sie sie finden, wenn’s welche gäbe?«
»Na ja, wie Sie selbst gesehen haben, waren die Leichen nicht direkt fabrikneu, und Fixer sind sehr findig, wenn’s darum geht, ihre Einstichstellen zu verstecken. Sie spritzen sich in die Zunge, in den Penis -«
»Schauen Sie, was Sie machen können, Professor.« Rebus legte auf. Plötzlich fühlte er sich in der Wohnung unwohl
und ging ein bisschen frische Luft schnappen. Draußen hielt er es dreißig Sekunden lang aus, dann ging er zur nächsten Haustür und klingelte. Eine Frau mittleren Alters machte ihm auf. Er zückte seinen Dienstausweis.
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte sie. »Es ist jammerschade um diese armen Jungs. Kommen Sie rein, kommen Sie rein.«
Sie hieß Mrs. Tweedie, und sie mochte es gern warm. Rebus setzte sich auf das Sofa und rieb sich vorsichtig die Hände, um wieder etwas Gefühl zu bekommen, ohne die Brandwunde zu behelligen.
»Kannten Sie sie gut, Mrs. Tweedie?«
Sie sah, dass er Notizbuch und Stift hervorholte. »Sie haben doch nichts dagegen, oder?«, fragte er.
»Ganz und gar nicht, aber ich dachte, ich könnte zuerst eine Tasse Tee machen. Wäre es Ihnen recht?«
Das war John Rebus sehr recht.
Er blieb über eine halbe Stunde sitzen. In dem Zimmer war es so warm, dass er befürchtete einzunicken, aber was Mrs. Tweedie ihm zu erzählen hatte, machte ihn schlagartig wach.
»Nette Jungs, die beiden. Haben mir mal meine Einkäufe ins Haus getragen und wollten nicht mal zu einer Tasse Tee bleiben.«
»Haben Sie sie oft gesehen?«
»Na ja, ich sah sie kommen und gehen.«
»Hatten sie feste Zeiten? Ich meine, waren sie nachts unterwegs?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bleib abends nicht lange auf. Manchmal war ihre Musik ein bisschen laut, aber da habe ich einfach den Fernseher mehr aufgedreht. Wenn sie eine Party feierten, haben sie uns vorher immer Bescheid gesagt.«
Rebus zog das Foto von Kirstie heraus. »Haben Sie dieses Mädchen schon mal gesehen, Mrs. Tweedie?«
»Grundgütiger, ja!«
»Ach?«
»Ich hab sie im Daily Record gesehen.«
Rebus spürte, wie seine Hoffnungen schwanden. »Aber nie hier?«
»Nein, nie. Ihren Vermieter habe ich allerdings oft gesehen.«
Rebus runzelte die Stirn. »Ich dachte, die Häuser hier würden alle der Stadt gehören?«
Mrs. Tweedie nickte. »Tun sie auch.«
Allmählich fiel bei Rebus der Groschen. »Aber im Mietvertrag stehen nicht Willies und Dixies Namen?«
»Sie haben mir erklärt, sie wohnten hier zur Untermiete. Bei dem Jungen, der das Haus eigentlich gemietet hat.«
»Und wie heißt er, Mrs. Tweedie?«
»Na ja, sein Vorname ist Paul. Den Nachnamen weiß ich nicht. Netter junger Mann, immer elegant angezogen. Mir gefiel nur eins nicht, er trug so einen...« Sie zupfte sich am Ohrläppchen und verzog das Gesicht. »Sieht bei einem Mann unpassend aus.«
»Paul Duggan?«, schlug Rebus vor.
Sie probierte den Namen aus. »Wissen Sie was?«, sagte sie. »Sie könnten Recht haben.«
Als Rebus in die Gorgie Road einbog, ging ihm ein Song durch den Kopf. Es war ein altes Stück von Neil Young, »The Needle and the Damage Done«. Er hielt vor dem Gefängnis, um seine Gedanken zu sammeln. Eine Zufahrtsstraße führte von der Gorgie Road zum Tor, dem hohen Zaun und dem wuchtigen Gebäude dahinter mit der großen Uhr über der eisernen Tür. Obwohl noch keine fünf, war es schon dunkel, aber das Gefängnis sah hell erleuchtet aus. Offiziell war es »Ihrer Majestät Strafvollzugsanstalt Edinburgh«; aber jeder kannte es als Saughton Jail. Das
Hauptgebäude sah aus wie ein viktorianisches Arbeitshaus.
Sie wären im Gefängnis gelandet, dachte er bei sich. Sie wussten, dass selbst eine vorgetäuschte Entführung eine schwere Straftat war.
Willie Coyle, der Größere, Blonde von den beiden. Rebus stellte sich vor, was Willie in diesen letzten Sekunden vor dem Sprung durch den Kopf gegangen sein mochte. Dixie und er würden ins Gefängnis kommen. Sie würden mit fast hundertprozentiger Sicherheit
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