Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
Herstellung von Mikrochips, mit denen eine Fabrik in Clydeside und eine andere in Gyle Park West beliefert wurde.
»Tanzen Sie?«
Rebus wandte sich halb um und sah eine Frau, die ihn zahnlos angrinste. Wenn er sich nicht täuschte, hieß sie Morag. Sie war mit dem Mann mit den schottisch karierten Schnürsenkeln verheiratet.
»Nicht heute Abend«, entgegnete er und versuchte, geschmeichelt auszusehen. Beim Mann mit den schottisch karierten Schnürsenkeln konnte man nie wissen: Tanzte man mit seiner Frau, war es eine Anmache; lehnte man ihre Aufforderung ab, beleidigte man implizit ihn. Rebus stemmte den Fuß auf die blanke Messingstange und leerte seine zwei Gläser.
Als es acht schlug, waren Doc und Salty schon gegangen, und neben Rebus stand jetzt ein alter Kerl mit einer Schiebermütze. Der Mann hatte sein Gebiss vergessen; seine Wangen sahen dementsprechend eingefallen aus. Er erzählte Rebus irgendwelche Storys aus der amerikanischen Geschichte.
»Die interessiert mich nämlich. Nur die amerikanische, keine andre.«
»Wieso das?«
»Hä?«
»Warum nur die amerikanische?«
Der Mann leckte sich die Lippen. Er nahm weder Rebus noch sonst was in der Bar wahr. Wahrscheinlich nahm er nicht einmal den gegenwärtigen Tag wahr.
»Tja«, sagte er schließlich, »muss wohl an den Western liegen. Ich steh unheimlich auf Western. Hopalong Cassidy, John Wayne... Hopalong Cassidy fand ich gut.«
»›Could It Be Forever‹«, sagte Rebus, »war von ihm, nicht?«
Dann trank er aus und machte sich auf den Heimweg.
Das Telefon klingelte. Rebus spielte mit dem Gedanken, nicht abzunehmen; sein Widerstand hielt ganze zehn Sekunden an.
»Hallo?«
»Hallo, Dad.«
Er ließ sich in seinen Sessel plumpsen. »Hallo, Sammy. Wo bist du?« Sie zögerte eine Spur zu lange. »Noch immer bei Patience, hm? Wie geht’s?«
»Gut.«
»Was macht die Arbeit?«
»Willst du’s wirklich wissen?«
»Ich wollte nur höflich sein.« Väterlich, dachte er, ich hätte »väterlich« sagen sollen, nicht »höflich«.
»Na, dann werd ich dich nicht mit Details langweilen.«
»Ich nehm an, Patience ist nicht da?« Die Vermutung lag nahe: Sammy rief nie an, wenn sie zu Haus war.
»Ja, sie ist mit... ich meine, sie musste weg. Sie hatte irgendwas vor.«
Rebus lächelte. »Du wolltest eigentlich sagen, sie ist mit jemandem ausgegangen.«
»Ich bin nicht sehr gut im Schwindeln.«
»Du kannst nichts dafür, liegt an den Genen. Sollen wir uns treffen?«
»Nicht heut Abend, ich bin hundemüde. Patience hat gefragt … sie hat sich gefragt, ob du bei Gelegenheit zum Tee kommen möchtest. Sie meint, wir sollten uns häufiger sehen.«
Womit Patience, wie sich Rebus sagte, wie immer Recht hatte. »Würd ich gern. Wann?«
»Ich frag Patience und meld mich dann wieder. Abgemacht?«
»Abgemacht.«
»So, heut geht’s früh in die Federn. Wie steht’s mit dir?«
Rebus sah auf seinen Sessel. »Da bin ich schon. Schlaf schön.«
»Du auch, Dad. Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch, Kleines«, sagte Rebus leise. Aber erst, nachdem er aufgelegt hatte.
Er ging an die Anlage. Nach einem Drink hörte er sich gern die Stones an. Frauen, Beziehungen und Kollegen waren gekommen und gegangen, aber die Stones waren immer da gewesen. Er legte die Platte auf und goss sich einen letzten Drink ein. Der Gitarrenriff - einer von den gut fünf bis sechs aus Keiths unerschöpflichem Repertoire - stand am Anfang des Albums. Ich hab nicht viel, dachte Rebus, aber das hab ich. Er dachte an Lauderdale in seinem Krankenhausbett; an Patience, die sich irgendwo einen schönen Abend machte; an Kirstie Kennedy in einem Pappkarton am Bahnhof Charing Cross. Dann sah er billige Turnschuhe, eine letzte Umarmung und Willie Coyles Gesicht.
Rebus schaffte es offenbar nicht, ihn sich aus dem Kopf zu saufen.
Er erinnerte sich an den Bericht, den er in Willies Schlafzimmer entdeckt und in der Küche auf der Arbeitsfläche hatte liegen lassen. Er ging ihn holen. Es war ein Geschäftsplan, für eine Softwarefirma namens LABarum. Der Text erklärte, das Labarum sei die Standarte der christlichen spätrömischen Kaiser gewesen und bedeute im übertragenen Sinn so viel wie »hoher sittlicher Maßstab«; die drei Großbuchstaben im Firmennamen aber sollten die enge Beziehung zur Region L othian A nd B orders zum Ausdruck bringen. Der Geschäftsplan enthielt mögliche künftige Entwicklungen, Kalkulationen, projektierte Bilanzen, Beschäftigungsaussichten. Er war
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