Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
knochentrocken
und machte reichlichen Gebrauch vom Konditional. Rebus nahm sich das Telefonbuch vor, fand aber nirgendwo einen Eintrag für LABarum.
Jemand hatte den Text gründlich durchgearbeitet, hatte Satzteile unterstrichen, einzelne Wörter umkringelt, neben den Schaubildern und Balkendiagrammen Berechnungen hingekritzelt. Sätze waren mit roter Tinte durchgestrichen, Wörter durch andere ersetzt und manche Stichpunkte abgehakt worden. Rebus konnte nicht beurteilen, ob das Willie Coyles Handschrift war. Er wusste nicht, ob Willie überhaupt einen roten Kuli besessen hatte. Aber zumindest konnte er sich fragen, was so ein Dokument in Willie Coyles Schlafzimmer zu suchen hatte. Er blätterte zur letzten Seite, und da stand ein Wort quer darüber gekritzelt. Das Wort lautete DALGETY, und es war dick unterstrichen. Er blätterte den Bericht noch einmal von vorne durch, aber Dalgety wurde sonst nirgendwo erwähnt. War es eine Person, ein Ort, eine andere Firma? Das Wort war mit blauer Tinte geschrieben und hatte sich förmlich in das Papier gefressen. Es ließ sich nicht erkennen, ob es von derselben Hand stammte wie die Verbesserungen und Randbemerkungen.
Er schenkte sich noch einen Drink ein - dieser würde der letzte sein - und drehte die Platte um. Er ärgerte sich, vor allem über sich selbst. Schließlich war der Fall abgeschlossen: Zwei verzweifelte Trittbrettfahrer waren von einer Brücke gestürzt und ums Leben gekommen. Das war alles. Mittlerweile hätte er die Angelegenheit aus seinem Gedächtnis streichen können. Aber es gelang ihm nicht.
»Zum Teufel mit dir, Willie«, sagte er laut und setzte sich mit seinem Drink wieder hin. Dann warf er noch einen Blick auf den Geschäftsplan. In der rechten oberen Ecke standen zwei Buchstaben, dünn mit Bleistift geschrieben.
CK. Er fragte sich, ob sie eine Abkürzung für »checken« sein mochten.
»Und wenn schon?«, sagte er und versuchte, sich auf die Musik zu konzentrieren.Was waren die Stones doch für ein katastrophaler Haufen, und doch brachten sie die Sache manchmal so exakt auf den Punkt, dass es wehtat.
»Auf dich, Willie«, sagte Rebus und hob sein Glas.
6
Erst als er am nächsten Morgen zähneklappernd aufwachte, fiel ihm wieder der Ventilschlüssel in seiner Jackentasche ein. Die Rohre glucksten, der Brenner fauchte, aber die Heizkörper waren nur lauwarm.
Er holte sich in einem Café ein Bacon-Brötchen und Kaffee und frühstückte im Auto auf dem Weg ins Revier. Auf dem Boden lag Raureif, und der bleierne Himmel verhieß Schlimmeres. Rebus hatte fünf Minuten gebraucht, um das Eis von der Windschutzscheibe zu kratzen, und auch so kam er sich wie in einem Panzer vor, mit lediglich einem schmalen Schlitz, durch den er hinausspähen konnte.
Ein Zettel auf seinem Schreibtisch teilte ihm mit, dass der Farmer ihn um neun Uhr dreißig in seinem Büro erwarte. Rebus meinte, noch einen Kaffee zu brauchen, und ging in die Kantine. Eine einsame Frau saß an einem Tisch und rührte in einem Becher Tee.
»Gill?«
Sie sah auf. Es war Gill Templer. Auf Rebus’ Gesicht breitete sich sein erstes Lächeln des Jahres aus. Er zog einen Stuhl heraus und setzte sich.
»Hallo, John.« Ihre Augen waren auf den Becher gerichtet.
»Ich dachte, du bist in Fife.«
»Ja.«
»Bei der Sitte, stimmt’s?«
»Genau.«
Er nickte und versuchte, ihren kühlen Ton zu überhören. »Du siehst gut aus.« Das fand er wirklich. Ihr kurzes dunkles Haar war stufig geschnitten, mit langen sichelförmigen Strähnen, die die Ohren halb bedeckten und bis zu den Wangen reichten. Ihre Augen waren smaragdgrün. Sie hatte sich kein bisschen verändert. Gill Templer quittierte das Kompliment mit einem Lächeln, erwiderte jedoch nichts darauf.
Brian Holmes berührte Rebus’ Schulter. »Die Pathologie ist mit diesen Tests fertig.«
»Soso?«
Holmes ging sich Kaffee und ein Doughnut holen, und Rebus folgte ihm. »Also, was ist dabei rausgekommen?«, fragte er.
Holmes biss ein Stück von seinem Doghnut ab und zuckte die Achseln. »Nichts«, nuschelte er kauend. »Der Professor konnte bei keinem der Verstorbenen Heroin oder sonst eine Droge im Blut nachweisen. Er meint, eine Leiche könnte ein paar Einstichstellen aufweisen, aber die seien älteren Datums.«
»Welche Leiche?«
»Die kürzere.«
»Dixie.« Rebus nahm seinen Kaffee und überließ es Holmes zu bezahlen. Als er sich umdrehte, saß Gill Templer nicht mehr an ihrem Tisch. Sie hatte ihren Becher Tee nicht
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