Ein Ende des Wartens
der Distanz.
Es sei so schön hier im Norden, führte Annika weiter aus und versuchte das Erlebte und die Umwelt in Worte zu fassen, doch es brauchte Tammys Einfall, dem Ganzen das Wort Gelassenheit zu geben, ehe Annika damit glücklich war.
Ja, Gelassenheit, meinte Annika. Gelassenheit dem Leben gegenüber, Gelassenheit den anderen Menschen gegenüber. Der Welt und den Menschen, der Umwelt und dem Leben gegenüber.
Auch wenn Tammy in einer ähnlichen Art und Weise fühlte, so widersprach sie ihrer Freundin und argumentierte, dass sie ja auch im Urlaub seien und mit einem anderen Blick auf die Menschen und die Umgebung schauen könnten.
Schon, aber die Menschen hier oben scheinen eine besondere Ruhe auszustrahlen, ganz so, als würden sie trotz ihres normalen Lebens und Alltags die ganze Zeit Urlaub machen. Die Entspanntheit der Menschen, die sie bisher kennen gelernt hätten, sei dieselbe, die Menschen besitzen, wenn sie abschalten oder in Urlaub fahren können.
Tammy wollte noch etwas antworten, doch ehe sie etwas sagen konnte, formulierte Annika einen Gedankengang, der so einfach dahingesprochen schien, aber für mehr als nur einen Augenblick zwischen den beiden stand: ob sie nicht einfach hier in den Norden ziehen solle. Vielleicht sei es der richtige Zeitpunkt, eine solche Veränderung zu vollziehen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Quasi einen Neuanfang starten!
Tammy war für eine geraume Zeit perplex und nicht fähig, eine sinnvolle Antwort zu geben. Mit offenem Mund und einem Stück Kuchen auf der Gabel starrte sie ihre Freundin an, die jedoch mit ihren Gedanken an einem völlig anderen Ort war.
Die letzte Nacht scheine wohl mehr verändert zu haben, als nur ein paar Gefühle Marco gegenüber, meinte Tammy mit einem lauernden Unterton in der Stimme.
Annika antwortete nicht direkt, was die Stimmung zwischen den beiden noch weiter zuspitzte. Dann aber drehte sie sich mit einem Mal zu ihrer Freundin und sagte in einem äußerst ruhigen, abgeklärten Ton, dass eine Flucht auch nicht dazu beitragen würde, ihre Probleme zu lösen.
Während Tammy aufatmete, diese Diskussion nicht weiter führen zu müssen, wirkte Annika, als würde sie gar nicht merken, wie sehr diese locker daher gesagten Worte ihre Freundin zum Nachdenken gebracht hatten.
22
Sie habe Marco einen Brief geschrieben, erzählte Annika beinahe beiläufig, als Tammy gerade das Kuchenstück in den Mund schob. Dabei musste Tammy stark aufpassen, dass es ihr vor Schreck nicht wieder herausfiel.
Wann habe sie den Brief geschrieben, fragte Tammy mit vollem Mund.
Vorgestern, kam es kurz und knapp zurück.
Ob sie ihn denn schon fertig geschrieben habe, wollte Tammy wissen.
Er sei schon auf dem Weg nach Afrika!
Nun war Tammy ein weiteres Mal geschockt. Ihr fehlten die Worte, um an diese plötzliche und unerwartete Feststellung anzuknüpfen. Wie fortgefegt waren alle Gedanken, die sie sonst so vor Worten sprudeln ließen.
Sie habe ihn an dem Abend eingeworfen, als sie auf dem Weg zu Tammy gewesen sei. Als sie den Brief losgelassen hatte, verspürte sie plötzlich ein merkwürdiges Gefühl und wollte den Brief wieder herausholen.
Was aber nicht gehe, kommentierte Tammy fassungslos.
Was aber nicht gehe, wiederholte Annika.
Und nun?
Immerhin wisse sie jetzt, dass der Brief ein Fehler war, meinte Annika.
Vielleicht nicht unbedingt der Brief selber, sondern eher das Abschicken. Etwas aufzuschreiben, an das man gerade keinen Kopf bekommt, ist ja im Prinzip etwas Gutes. Dass Marco den Brief irgendwann in seinen Händen halten werde, das scheine doch das wahre Problem an der Situation zu sein.
Ob sie vielleicht darauf vertrauen könne, dass der Brief nicht ankomme, sagte Annika, ohne dass sie selbst an diese Option glaube.
Darauf könne sie nicht bauen, erklärte Tammy auch sogleich, sondern sie müsse sich eine Strategie für das Ankommen des Briefes überlegen. Wenn der Brief das aussage, was Annika wirklich meine, dann wäre er ja kein Problem. Wenn in dem Brief aber etwas stünde, das Annika nun nicht mehr so meine, dann könnte dieser Brief zum Problem werden – besonders, wenn Marco ihn tausende Kilometer weit entfernt liest und niemanden hat, mit dem er seine Gedanken austauschen könne. Dieses Risiko sei es, das Annika nun eingegangen sei.
Das sei wohl nun das Risiko, stimmte Annika zu.
Ob sie denn bereuen würde, was sie in den Brief geschrieben habe, fragte Tammy.
Annika nahm sich einige Momente, ehe sie antwortete.
Ja, sie
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