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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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deshalb um Sympathie und gerechte Behandlung kämpfen müssen (wodurch sie weitere Abneigung und Feindseligkeit auf sich ziehen). Als eines Tages zwei Ambulanzfahrer kamen, um die hässliche Patientin in «ein anderes Krankenhaus» zu bringen, erfuhr ich, dass dieses «andere Krankenhaus»
Seacliff
war. Seacliff, weiter nördlich an der Eisenbahnlinie gelegen, die Anstalt aus grauem Stein, gebaut wie eine Burg. Seacliff, wohin die Verrückten kamen. «Sie kommen natürlich nicht dorthin», sagte Maitland. «Mit Ihnen ist alles in Ordnung.»
    Und nach den drei Wochen, die ich zur Beobachtung im Krankenhaus verbracht hatte, war dies tatsächlich die Diagnose. Mutter wurde ersucht, nach Dunedin zu kommen undmich mit nach Hause zu nehmen, und nach einer Ruhepause zu Hause würde ich wieder ganz die Alte sein, sagten sie.
    So plötzlich mit der Aussicht konfrontiert, nach Hause zu fahren, spürte ich, wie alle Sorgen der Welt wiederkehrten, die ganze Trostlosigkeit zu Hause und die ewigen Mühen und Plagen meiner Eltern und die wöchentlichen Ratenzahlungen für die Bettdecken und die neue Daunendecke von Calder Mackays und die Zahlungen an die Starr-Bowkett-Baugenossenschaft, denn sonst würden wir wieder aus dem Haus geworfen werden; und die Streitereien zu Hause, und Mutters ewige Rolle als Friedensstifterin; und meine faulen Zähne; und meine Unfähigkeit, einen Ort im Ist-Land zu finden, das nur existierte, um jedes neue Morgen immer schneller zu verschlingen. Könnte ich doch nur die Welt der Dichtung mein Eigen nennen, offen, ungeniert, ohne sie heimlich in meinem Inneren verbergen zu müssen!
    Als ich Mutter in meinem Zustand der Angst und Sorge über meine Zukunft am Eingang zur Station stehen sah, in ihrem armseligen «Sonntagsstaat», ihrem marineblauen Kostüm und dem marineblauen Strohhut mit dem künstlichen Blumensträußchen an der Krempe; mit einer Spur von Angst im Blick (denn schließlich war ich auf der «geschlossenen» Abteilung gewesen) und einem Gesicht, das offenkundig versuchte, den Ausdruck
Es ist alles in Ordnung
anzunehmen, wusste ich, dass mein Zuhause der letzte Ort war, wo ich hinwollte. Ich schrie Mutter an, sie solle weggehen. Sie ging und äußerte dabei flüsternd ihre Bestürzung: «Sie ist doch ein so glücklicher Mensch, sie war immer ein so glücklicher Mensch.»
    Ich vermutete also, dass ich noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben und dann entlassen werden, mir Arbeit inDunedin suchen, mein Universitätsstudium fortsetzen und das Unterrichten für immer aufgeben würde. Es war mir nicht klar, dass die Alternative zur Rückkehr nach Hause die Einweisung nach Seacliff war. Niemand kam auf den Gedanken, mich zu fragen, warum ich meine Mutter angeschrien hatte, niemand fragte mich, was meine Zukunftspläne waren. Mit einem Schlage wurde ich zu einer dritten Person, ja sogar subjektlos, wie der offizielle Vermerk über den Besuch meiner Mutter (von dem ich viele Jahre später unterrichtet wurde) bewies: «Weigerte sich, das Krankenhaus zu verlassen.»
    Ich wurde nach Seacliff gebracht (Dritte-Person-Menschen werden auch ins Passiv gestoßen), in einem Auto, in dem sich zwei Mädchen aus der Erziehungsanstalt und die Polizeibeamtin, Miss Churchill, befanden. Miss Churchill! Wie eigenartig sich die Ereignisse und Menschen und Orte und Namen zwischen Dichtung und Wahrheit hin und her bewegten!

9
1945: Drei
    Das Schreiben einer Autobiographie, normalerweise als ein Zurückblicken gedacht, kann ebensogut ein
Über
blicken oder
Durch
blicken sein, wobei die fortschreitende Zeit einen Röntgenblick verleiht. Auch ist die vergangene Zeit keine verschwundene Zeit, es ist angesammelte Zeit – die Menge gleicht der Märchenfigur, der sich auf ihrem Weg immer mehr Gestalten anschlossen, von denen keine sich von der anderen und von der ganzen Menge trennen ließ; manche hafteten so fest, dass ihre Gegenwart körperliche Schmerzen bereitete. Man füge den Gestalten alle Ereignisse, Gedanken und Gefühle hinzu, und es entsteht eine Masse von Zeit, bald ein klebriges Chaos, bald ein Juwel, größer als die Planeten und Sterne.
    Wenn ich durch 1945 hindurchblicke, sehe ich das Skelett des Jahres und, sowohl den Schatten des Todes als auch des Lebens darüber werfend, die Atombombe; ich sehe die unscheinbaren Krokusse, die im späten Frühlingsschnee überlebten, die Geburtstage und Todestage und zwei oder drei andere Ereignisse, die jene erträumten Planeten und Sterne in meine private Welt und in

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