Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
Schuppen abgestellt hatte. Wenn ich am Wochenende nach Hause kam, hatte Mutter immer ein Glas Kaffee gekauft, diese dunkle, süße Flüssigkeit, deren Geschmack einen rülpsen ließ und die man Greggs Zichorienkaffee nannte; die Außenseite der Flasche war immer klebrig vom übergelaufenen Sirup. Kaffeetrinken war ein Zeichen, dass man erwachsen war; deshalb trank ich Kaffee. Auch hatte mich einer der Dozenten an der Universität mit
Janet
angesprochen, während ich bisher immer
Jean
genannt worden war; also war ich jetzt offiziell
Janet
. Am Wochenende brachte Dad einen Stapel Sexton-Blake-Bücher aus der Bibliothek für mich zum Lesen mit, und ich las in Windeseile die Abenteuer von Sexton Blake und Tinker, damit ich mich mit ihm darüber unterhalten konnte. Das zuvorkommende Verhalten meiner Eltern machte mich traurig, glücklich und wütend und hinterließ ein Gefühl der Hilflosigkeit in mir – was konnte ich schon für sie tun? Ich sah das Muster ihres vergangenen Lebens langsam hervortreten, wie eine Schrift, mit unsichtbarer Tinte geschrieben und nun für mich sichtbar geworden, erwärmt von dem Feuer, das sich einfach durch mein Älterwerden entzündet hatte. Auch eine Erleuchtung, erzeugt durch dasselbe Feuer, wurde mir zuteil, deren Schattenals erkennbare Formen einer Sprache hervortraten, die für mich voller Bedeutung war: die Sprache der Liebe und des Verlusts und der Freude und der Qual, einen festen Platz innerhalb einer Familie zu haben, wo doch all meine erwachende Sehnsucht darauf gerichtet war, mich schnell loszureißen, ohne eine Ansammlung von Nervenenden zurückzulassen, zerrissene Fäden, die Gefahr liefen, sich zu erneuern.
Das Jahr war zur Hälfte vorüber. Meine persönliche Lyrik trat ihre lautlose, erschreckende Reise zu den Planeten und Sternen an. Am Anfang des Monats, in dem ich meinen einundzwanzigsten Geburtstag, das Erreichen meiner Volljährigkeit feiern würde, war plötzlich der Krieg vorbei, der mich durch all die Jahre meiner offiziellen Pubertät hindurch begleitet hatte, als Teil der Entwicklung meines Körpers und Geistes, fast wie ein Bestandteil meines Blutes, und seine Spuren überall hinterlassen hatte, selbst in meinen Haaren und meinen (abgekauten) Fingernägeln. Auch in diesem Jahr gab es den üblichen Schneefall im Frühling, der die neugeborenen Lämmer tötete, aber die ersten Krokusse leben ließ. Jeder freute sich darüber, dass der Krieg zu Ende war, und es genügte, sich zu freuen und nicht über die Tatsache nachzudenken, dass die Atombombe geboren und dass auch ihr ein eigenes Leben und eine eigene Verantwortlichkeit gegeben war. Meine Volljährigkeit wurde erleuchtet vom Feuer des Atompilzes, das alle zu Schatten werden ließ, die von seiner Helle erfasst wurden; eine spektakuläre Erhellung der Zeremonien des Todes – «Asche zu Asche, Staub zu Staub».
Am 28. August wurde ich «mündig», ohne ein Fest, aber mit einigen besonderen Geschenken meiner Familie – «Dinge», die bewiesen, dass ich doch ein Teil der Welt war: Ichbekam eine neue Armbanduhr und ein neues Paar karierter Hausschuhe mit Pompons und flauschigem Futter.
Als eine Art Abschöpfen der Oberfläche all der Gefühle, die ein Leben lang brauchen würden, um zu verkochen, schrieb und veröffentlichte ich in jenem Monat meine erste Kurzgeschichte, «Universitätseintritt», für die der
Listener
zwei Guineen bezahlte.
Und nun verging das Jahr schnell, und der entscheidende letzte Besuch des Schulinspektors stand bevor. An einem strahlenden Morgen voller Narzissen und blühender Johannisbeersträucher und voller Glanz auf den Blättern des Buschlandes am Rande des Queen’s Drive, durch den ich jeden Morgen zu meiner Schule ging, einem Morgen mit einem Hauch warmen Goldes im grellen, zitronenfarbenen Sonnenlicht, kam ich in die Schule und erfuhr – wie es unvermeidlich war –, dass der
Tag der Inspektion
gekommen sei, und am späteren Vormittag kamen der Inspektor und der Direktor in meine Klasse. Ich begrüßte sie liebenswürdig in meiner geübten Lehrerinnenart und stand dabei an der Wand des Zimmers, in der Nähe der ausgestellten Zeichnungen, während der Inspektor sich an die Klasse wandte, bevor er sich setzte, um sich meinen Auftritt als Lehrerin anzusehen. Ich wartete. Dann sagte ich zum Inspektor: «Würden Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen?»
«Aber natürlich, Miss Frame.»
Ich ging aus dem Zimmer und aus der Schule und wusste, dass ich nie mehr zurückkehren
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