Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
dem Direktor, wahrscheinlich telefonisch und später schriftlich, man habe mir geraten, das Unterrichten aufzugeben. Ich sagte nicht, dass ich mir diesen Rat selbst erteilt hatte.
Ich fand Arbeit als Geschirrspülerin in der Mensa. Ich versuchte, meine Zukunft in hoffnungsvollem Licht zu sehen.Ich hatte das Gefühl, ich würde nie wieder beschließen, mich umzubringen.
Zufällig war es Teil unseres Psychologiekurses, eine komprimierte Autobiographie zu schreiben. Als ich mit meiner fast fertig war, fragte ich mich, ob ich meinen Selbstmordversuch erwähnen sollte. Ich hatte mich wieder erholt; in gewisser Weise war ich nun ziemlich stolz, denn ich konnte gar nicht begreifen, wie ich den Mut dazu aufgebracht hatte. Am Ende meiner Autobiographie schrieb ich: «Vielleicht sollte ich einen kürzlich unternommenen Selbstmordversuch erwähnen …», und schilderte, was ich getan hatte, doch um den Versuch eindrucksvoller erscheinen zu lassen, verwendete ich den chemischen Ausdruck für Aspirin –
Acetylsalicylsäure
.
Nach dem Ende der Vorlesung in dieser Woche sagte John Forrest zu mir: «Ihre Autobiographie hat mir gefallen. Alle anderen waren so förmlich und ernst, aber Ihre war so natürlich. Sie haben eine Begabung für das Schreiben.»
Innerlich lächelte ich überheblich. Von wegen Begabung für das Schreiben. Das Schreiben würde mein Beruf werden!
«Oh, ich schreibe ja auch», sagte ich. «Eine Kurzgeschichte von mir war im
Listener
…»
Er war beeindruckt. Alle waren beeindruckt gewesen und hatten gesagt: «Es ist schwer, etwas im
Listener
zu veröffentlichen.»
John Forrest sah mich scharf an. «Es muss schwierig gewesen sein, all die Aspirintabletten zu schlucken.»
«Ach, ich habe sie mit Wasser genommen», sagte ich gelassen.
Als ich an jenem Abend gerade schlafen gehen wollte, öffnete Mrs T. auf ein Klopfen hin die Tür und rief mich: «Dasind drei Männer, die Sie sprechen wollen. Von der Universität.»
Ich ging zur Tür, und da standen Mr Forrest, Mr Prince und der Leiter des Instituts, der als erster das Wort ergriff.
«Mr Forrest hat mir gesagt, dass es Ihnen nicht sehr gut geht. Wir haben uns gedacht, Sie könnten vielleicht eine kleine Ruhepause gebrauchen …»
«Es geht mir gut, danke.» (Kein Problem, überhaupt kein Problem.)
«Wir haben uns gedacht, Sie würden vielleicht gern mit uns hinunter ins Krankenhaus kommen – ins Krankenhaus von Dunedin –, um sich ein paar Tage auszuruhen.»
Plötzlich fühlte ich mich von allen Sorgen befreit, behütet und umsorgt. Ich konnte mir nichts Wünschenswerteres vorstellen, als behütet und warm zugedeckt im Bett zu liegen, weg vom Unterrichten und dem Zwang, Geld zu verdienen, ja selbst weg von Mrs T. und ihrem komfortablen Haus; und weg von meiner Familie und meiner Sorge um sie; und von meinem wachsenden Gefühl der Isolation in einer tüchtigen, strahlenden Welt voll tüchtiger, strahlender Menschen; weg vom Krieg und von meinem einundzwanzigsten Jahr und der damit verbundenen Verantwortung; allerdings nicht weg von meinen schlechten Zähnen.
«John wird Sie besuchen», sagte der Leiter des Instituts.
John! Der Gebrauch des Vornamens, unter den jungen Lehrbeauftragten und ihren Studenten durchaus üblich, doch für mich noch etwas Neues, freute und erschreckte mich. «Das ist nett von Ihnen, Mr Forrest», sagte ich förmlich.
Und so wurde ich ins Krankenhaus von Dunedin aufgenommen, auf die Colquhoun-Station, die, wie ich bald zumeinem Entsetzen herausfinden sollte, eine
psychiatrische Station
war.
Die Ärzte, Marples und Woodhouse, zwei junge Anstaltsärzte, waren interessiert und freundlich. Die Krankenschwester, Maitland Brown, ein Mitglied der Evangelisationsgemeinschaft, die sich zur Missionarin ausbilden ließ, erzählte mir von ihren Hoffnungen und Träumen. Ich kann mich nur noch an eine einzige andere Patientin im Bett neben meinem erinnern, eine sonderbare Frau, die eine Operation hinter sich hatte und das bestritt. Ich, aufgewachsen in einer Filmstarwelt der Spontanurteile über das Äußere der Menschen, fand sie abstoßend und hässlich mit ihrem roten Gesicht, der derben Haut, den kleinen Augen mit den rötlichen Wimpern und den schütteren rotbraunen Haaren. Man hegte allgemein eine Antipathie gegen sie. Heute mache ich mir Gedanken über die Behandlung psychiatrischer und anderer Patienten, die einen durch ihre Ausstrahlung, wie durch eine Chemikalie, geradezu auffordern, ihnen mit Abneigung zu begegnen und die
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