Ein Engel fuer Charlie
hatte Charlie viel Zeit in seiner Werkstatt verbracht – und damit auch seine Tochter allein gelassen. Sie betrachtete den Engel und sein Wunderpulver als magische Lösung ihrer Probleme. Sie glaubte, auf diese Weise wieder eine intakte Familie erhalten zu können. Nun gut, er konnte ihr nicht ihre Mutter zurückgeben – aber sich selbst.
„Meredith, denkst du bei dieser Geschichte auch an uns beide?“ fragte er.
„Ich weiß es nicht.“
„Ich glaube, dass du das tust. Ich habe viel zu viel Zeit mit Arbeiten verbracht und nicht genug Zeit mit dir. Das tut mir sehr Leid, Kleines. Von jetzt an werden wir mehr zusammen unternehmen. Du bist wichtiger als alles andere für mich.“
„Ich will nicht, dass du traurig bist, Daddy. Du sollst uns nur eine neue Mommy suchen.“
Sein Herz brannte vor Schmerz. Wie sollte er seiner Tochter erklären, dass das nicht so einfach war? Wo bitte sollte er denn eine „neue Mommy“ finden? „So mir nichts, dir nichts geht das leider nicht, mein Liebling.“
„Ich mag Starla aber schrecklich gern, und sie kocht so leckere Sachen. Frag sie doch, ob sie bei uns bleiben will. Kann sie, Daddy? Bitte!“
Ach du meine Güte! Charlie war unfähig, den Blick zu heben. Er hatte das Gefühl, auf spiegelblankem Eis sein Gleichgewicht verloren zu haben. Meredith sprach so offen Wünsche und Gefühle aus, wie nur ein Kind es konnte. Er wollte ihre Hoffnungen nicht zerstören, aber er durfte es auch nicht zulassen, dass er sie noch nährte.
„Ich mag Starla auch sehr. Aber sie hat ihr eigenes Leben. Sie eröffnet bald ihr eigenes Restaurant. Starla hat Leute, die für sie arbeiten, und Freunde, die sie vermissen.“
„Ich werde sie auch vermissen“, meinte Meredith ernst.
Charlie schaute zu Starla hinüber, aber sie wich seinem Blick aus. Wahrscheinlich hatten sie Merediths Worte verlegen gemacht. „Ich weiß“, war alles, was er sagen konnte.
Jedes weitere Wort über Starlas Abreise hätte hohl geklungen, deshalb sagte er nichts mehr. Zumal er am liebsten derjenige gewesen wäre, der sie zum Bleiben auffordern würde. Auf Knien, wenn es sein musste.
Für Meredith war die Sache klar. Sie wusste, dass ihr Dad nicht an Engel glaubte, deswegen konnte er sich auch nicht vorstellen, dass Starlas Pulver wirklich Wunder vollbringen konnte. Obwohl sie selbst dieses Wunderpulver noch nicht gesehen hatte, war sie ganz sicher, dass Starla es besaß. Vielleicht war es in dieser Tube mit dem glitzernden Inhalt im Badezimmer? Irgendetwas jedenfalls hatte sich verändert, seit Starla hier war. In dieser Woche hatte sie ihren Dad viel mehr lächeln gesehen und lachen gehört als zuvor. Er war nicht nur immerzu in seiner Werkstatt gewesen, sondern hatte mit ihr gespielt und Musik gehört.
Sie hatten Grandma und Grandpa Geschenke gemacht, und sie hatten einen Tannenbaum geholt und ihn zusammen geschmückt.
Ihr Dad meinte, dass Starla kein Engel sei. Starla behauptete das auch, ebenso wie Grandma. Nur Grandpa sagte nichts. Er lächelte nur, wenn sie ihn fragte. Ja, gut, Starla hatte wirklich etwas sehr Menschliches, auch wenn sie wie ein Engel aussah. Sie aß und schlief und konnte nicht fliegen – zumindest nicht, wenn Meredith dabei war. Allerdings könnte sie ja in den Himmel fliegen, wenn alle schliefen. Eins war auf alle Fälle klar: Hier waren Wunder passiert. Daddy wollte es nur einfach nicht glauben. Sie aber glaubte es mit ganzem Herzen.
Später am Abend, nachdem Meredith tief und fest eingeschlafen war, ging Charlie zum Lagerraum, holte die Geschenke heraus, die er wohlweislich vor einiger Zeit übers Internet bestellte hatte, und legte sie unter den Weihnachtsbaum.
Er war überrascht, dass auch Starla mit einem Päckchen die Treppe herunterkam.
„Ich habe etwas im Supermarkt gekauft“, meinte sie und zuckte mit den Achseln.
„Es ist eine Barbie, die sie noch nicht hat.“ Sie legte das Geschenk ebenfalls unter den Tannenbaum.
Charlie musste schlucken, denn plötzlich überkam ihn Rührung. Starla ging so selbstverständlich mit Meredith um, als ob… Himmel, fing er jetzt etwa auch noch mit dem Engelzeug an?
Er ergriff ihre Hand und küsste ihre Finger. Dann strich er ihr das Haar aus dem Gesicht und berührte das leichte Violett der Prellung unter ihrem Auge, das ihrer Schönheit absolut keinen Abbruch tat.
Er liebte ihr Lächeln, die Art und Weise, wie ihre Augen glitzerten, wenn sie sich über irgendetwas amüsierte. Er schätzte ihre Ehrlichkeit und ihr gutes Herz.
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