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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Pásztor
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vorgerückten Stunde der längste, den wir bisher hatten. Es lag vor allem daran, dass niemand so genau wusste, ob und wie er den anderen umarmen durfte, ohne ihn oder einen der Umstehenden damit in Verlegenheit zu bringen. Selbst Hannah, von der meine Mutter behauptet, sie hätte schon Bäume umarmt, wirkte ungewöhnlich schüchtern.
    Es machte nichts. Wir versprachen uns gegenseitig, pünktlich zum letzten gemeinsamen Frühstück zu erscheinen, und ich glaube, es ging uns allen ziemlich gut, als wir uns trennten.
    Bevor ich ins Bett fiel, schaltete ich mein Handy wieder ein und stellte den Alarm auf zehn Uhr. Auf dem Display wurden mir zwei verpasste Anrufe und eine Textnachricht von meinem Vater gemeldet. Ich war zu müde, um sie zu lesen, aber ich freute mich.
    »Papa hat mir eine SMS geschickt«, sagte ich.
    »Schlaf gut, Lily«, sagte meine Mutter und verschwand im Bad, wo sonst.

17
    VIER STUNDEN SPÄTER ortete mich das Sonar meines Telefons mitten in einem wirren Traum über Luftschiffe. Ich war allein. Auf der unberührten Betthälfte neben mir lag ein Zettel von meiner Mutter mit der Bitte, meine Sachen zusammenzupacken und spätestens um elf unten beim Frühstück zu erscheinen. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass wir irgendwann um die Mittagszeit mit dem Zug nach Hause fahren wollten. Mein Blick fiel auf Gabors Bären, der in den Spalt zwischen Bett und Nachttisch gerutscht war und zu Recht sehr einsam aussah.
    »Hallo, Bär«, sagte ich. Ich holte ihn hervor und strich ihm das Fell glatt. Für einen ungarischen Schafhütebären sah er eigentlich etwas zu harmlos aus, aber Paul würde die Geschichte bestimmt gefallen, wenn er groß genug dafür war. Ich beschloss, dass der Bär von jetzt an Paul gehören würde.
    Bevor ich unter die Dusche ging, las ich noch die Nachricht von meinem Vater, der mich für heute Abend zum Essen einlud (»Und frag deine Mutter, ob sie mitkommen will«). Ich schrieb ihm zurück, dass ich käme und auch meine Mutter fragen würde, ob sie mitkommen wolle, dabei wusste ich ihre Antwort längst. Irgendwann in der vergangenen Nacht hatte ich aufgehört, davon zu träumen, dass die beiden wieder zusammenkommen würden. Ich hatte sogar aufgehört, es für das einzig wahre Happy End zu halten.
    Im Bad versuchte ich, die vier Stunden Schlaf auf gefühlte acht zu erhöhen. Ich benutzte dafür ausnahmsweise kaltes Wasser, was sonst so gut wie nie bei mir vorkommt. Zu meinem Erstaunen half es tatsächlich. Hinterher setzte ich mich noch eine Weile zu meinem Steinmandala, das immer noch auf dem Boden ausgebreitet lag. Dann zerstörte ich es. Ich brachte die Tonkugeln wieder in ihren Blumentopf zurück und steckte Joschis Stein in die Tasche. Der Bär kam zuoberst in meinen Rucksack und durfte rausgucken. Als ich die Zimmertür öffnete, um nach unten zu gehen, stand meine Mutter vor mir.
    »Ich wollte dich abholen«, sagte sie.
    Wir gingen Arm in Arm zum Fahrstuhl. Ich sah auf unsere Füße herab und stellte fest, dass wir die gleiche Art zu gehen hatten. Ich schaute nach oben und merkte, dass ich ihr genau in die Augen sehen konnte. Das war neu, zumindest war es mir vorher noch nicht aufgefallen.
    »Ich war vorhin mit Hannah noch mal oben in Buchenwald, das Auto holen«, sagte meine Mutter. »Stell dir vor, irgendjemand hatte eine Lilienblüte hinter den Scheibenwischer geklemmt.«
    Ich stellte es mir vor. Es war nicht schwer. Es sah schön aus und versöhnlich. Dann versuchte ich mir vorzustellen, was wohl aus mir geworden wäre, wenn meine Mutter nicht schon mein ganzes Leben lang jeden zweiten Satz, den sie an mich richtete, mit »Stell dir vor« begonnen hätte.
    »Übrigens will Hannah nachher Gabor im Auto mitnehmen«, sagte meine Mutter, als sich die Fahrstuhltür hinter uns geschlossen hatte.
    Wow, dachte ich. »Ist das nicht ein Riesenumweg für sie?«, fragte ich.
    Meine Mutter lachte. »Das schon, aber sie behauptet, dann könne sie wenigstens schlafen, solange er fährt. Ich glaube ihr kein Wort.«
    Mir gefiel die Vorstellung, dass keiner von uns den Rückweg allein antreten würde.
    Hannah und Gabor saßen bereits am Tisch und frühstückten. Ich fand, dass Gabor heute Morgen nicht wie ein Mathelehrer, sondern mehr wie ein übermüdeter Anarchist aussah. Sein Zopf saß nicht so straff wie sonst, seine Haut schien noch eine Nuance bleicher, aber seine Augen blitzten trotz geschwollener Tränensäcke hinter seiner Pilotenbrille auf, als er uns kommen sah. Hannah wirkte nicht

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