Ein Feuer Auf Der Tiefe
sie kein Datio oder dergleichen besitzen. Majestät, Stahl hat einen Vorteil, den wir noch nicht kennen.«
Selbst die Hinrichtungen nützten nichts. Tag für Tag fühlte Stahl seine Wut anwachsen. Allein auf dem Wehrgang hieb er hin und her auf sich selbst ein, kaum zu einer anderen Empfindung als seiner Wut fähig. Niemals, seit ihn der Flenser unterm Messer gehabt hatte, war die Wut derart durchdringend gewesen. Komm zu dir, ehe er dich wieder schneidet, schien die Stimme eines früheren Stahl zu sagen.
Er klammerte sich an den Gedanken, riss sich zusammen. Er starrte hinab auf blutigen Geifer und schmeckte Asche. Drei von seinen Schultern waren mit Rissen von Zähnen gezeichnet – er hatte sich selbst verletzt, noch eine Gewohnheit, von der ihn Flenser vor langer Zeit geheilt hatte. Füge nach außen hin Verletzungen zu, niemals dir selbst. Stahl leckte mechanisch an den klaffenden Wunden und trat näher an den Rand des Wehrgangs.
Am Horizont verdüsterte schwarzgrauer Dunst Meer und Inseln. Die letzten Tage über waren die Sommerwinde ein heißer Atem gewesen, der nach Rauch schmeckte. Jetzt glichen die Winde selbst Bränden, die an der Burg vorbeischlugen und Asche und Rauch mit sich führten. Den ganzen letzten Tag über war die andere Seite der Bitterschlucht ein Feuermeer gewesen; heute konnte er die Bergflanken sehen: sie waren schwarz und braun, gekrönt von Rauch, der zum Meereshorizont hinüberwehte. Im Hochsommer gibt es oft Busch- und Waldbrände. Doch dieses Jahr, als sei die Natur ein göttliches Kriegsrudel, waren die Feuer überall gewesen. Die verdammten Kanonen waren schuld daran. Und dieses Jahr konnte er nicht in die Kühle der Verborgenen Insel zurückweichen und das Küstenvolk sich selbst überlassen.
Stahl ignorierte seine schmerzenden Schultern und lief tief in Gedanken über die Steine, fast analytisch zur Abwechslung. Die Kreatur Feilonius war nicht käuflich geblieben, er hatte sich zum Verräter an seinem Verrat gewendet. Stahl hatte damit gerechnet, dass Feilonius entdeckt werden könnte; er verfügte über andere Spione, die derlei hätten melden müssen. Doch es hatte kein Anzeichen gegeben – bis zur Katastrophe vom Margrum-Steig. Nun hatte die Wendung von Feilonius’ Messer all ihre Pläne auf den Kopf gestellt. Holzschnitzerin würde sehr bald hier sein, und nicht als Opfer.
Wer hätte ahnen können, dass er wirklich die Raumleute brauchen würde, damit sie ihn vor Holzschnitzerin retteten? Er hatte so viel daran gesetzt, den Südländern gegenüberzutreten, ehe Ravna eintraf. Doch jetzt brauchte er jene Hilfe vom Himmel – und sie war mehr als fünf Stunden entfernt. Bei dem Gedanken wäre Stahl beinahe wieder in den Zustand der Raserei verfallen. Sollte letzten Endes all das Herumgeschmuse mit Amdijefri vergebens gewesen sein? Oh, wenn das vorbei ist, wie ich es genießen werde, die beiden umzubringen. Mehr als jeder andere verdienten sie den Tod. Sie hatten so viel Scherereien gemacht. Sie hatten ständig sein freundliches Verhalten notwendig gemacht, als ob sie über ihn herrschten. Sie hatten ihn mit mehr Unverschämtheiten überschüttet als zehntausend normale Untertanen.
Aus dem Burghof drang das Geräusch von arbeitenden Rudeln herauf, das Knarren von Winden, das Schurren und Knirschen von versetzten Steinen. Der professionelle Kern von Flensers Imperium hielt stand. In ein paar Stunden würden die Breschen in den Mauern repariert und neue Kanonen aus dem Norden herbeigeschafft sein. Und der große Plan kann immer noch gelingen. Solange ich beisammen bin, egal, was sonst verloren geht, kann er gelingen.
Fast vom Lärm verschluckt, hörte er das Klicken von Krallen auf der Innentreppe. Stahl wich zurück, wandte alle Köpfe dem Geräusch zu. Sreck? Aber Sreck hätte sich erst gemeldet. Dann entspannte er sich; es war eine Gruppe von Krallengeräuschen. Es war ein Solo, das die Stufen heraufkam.
Flensers Glied erschien oben und verbeugte sich vor Stahl, eine unvollständige Geste, da sie nicht von anderen Gliedern mitvollzogen wurde. Der Radioumhang des Gliedes schimmerte rein und dunkel. Die Armee war voller Ehrfurcht vor diesen Umhängen und vor den Solos und Duos, die klüger zu sein schienen als das intelligenteste Rudel. Sogar Stahls Leutnants, die begriffen, worum es sich bei den Umhängen wirklich handelte – sogar Sreck –, waren in ihrer Gegenwart vorsichtig und zurückhaltend. Und nun brauchte Stahl das Flenser-Fragment mehr als je zuvor, mehr als
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