Ein Feuer Auf Der Tiefe
rannten zwischen die Bäume oder schwebten empor, hin zu weiter entfernten Büros. Jetzt stiegen Sternenschiffe von ihren Liegeplätzen jenseits des Meeres auf, fielen höher und höher, bis sie im versunkenen Sonnenlicht erglänzten.
Es war Relais’ letzter Augenblick des Friedens.
Ein Fleck glühender Finsternis breitete sich über den Himmel aus. Sie starrte offenen Mundes das Licht an, das derart verdreht war, dass man es nicht hätte sehen dürfen. Es schien eher in ihrem Hinterkopf als in ihren Augen. Später konnte sie sich nicht besinnen, wodurch es sich objektiv von Schwärze unterschieden hatte.
»Da ist noch einer!«, sagte Blaustiel. Diesmal nahe am Horizont der Docks, ein Klümpchen Dunkelheit von vielleicht einem Grad Durchmesser. Die Ränder verschwammen schwarz in Schwarz.
»Was ist das?« Ravna war kein Kriegsfan, aber sie hatte ihr Teil an Abenteuergeschichten gelesen. Sie wusste von Antimateriebomben und relativistischen kinetischen Energieschlägen. Von weitem waren solche Waffen helle Lichtflecken, manchmal ein vielfaches Flackern. Oder näher: ein Weltenknacker würde über dem Rund eines Planeten gleißen und den Globus selbst wie einen Tropfen Wasser versprühen, aber langsam, langsam. Das waren die Bilder, die ihre Lektüre ihr vermittelt hatten. Was sie jetzt sah, glich eher einem Sehfehler als einem Bild vom Krieg.
Die MÄCHTE mochten wissen, was die Skrodfahrer sahen, doch Blaustiel sagte: »Ihre Haupttransceiver… zerdampft, glaube ich.«
»Die sind Lichtjahre weit draußen! Wir können unmöglich sehen…« Ein weiterer Fleck erschien, nicht einmal in ihrem Gesichtsfeld. Die Farbe schwebte ohne bestimmten Ort. Pham Nuwen krampfte sich wieder zusammen, aber nur schwach. Es machte ihr keine Mühe, ihn ruhig zu halten, doch… Blut tropfte aus seinem Mund. Der Rücken seines Hemdes war feucht von etwas, das nach Fäulnis stank.
»Die ADR wird in hundert Sekunden hier sein. Eine Menge Zeit, wir haben eine Menge Zeit.« Blaustiel rollte um sie hin und her und sprach ihnen Mut zu, was nur bewies, wie nervös er war. »Ja, meine Dame, Lichtjahre weit draußen. Und es wird Jahre dauern, bis der Blitz von ihrer Vernichtung den Himmel erleuchten wird – wer immer dann hier noch leben mag, um es zu sehen. Aber nur ein Bruchteil der Zerdampfung erzeugt Licht. Der Rest ist eine Ultrawellen-Flut, so gewaltig, dass gewöhnliche Materie beeinflusst wird… Sehnerven, vom Überlauf gekitzelt… So sehr, dass Ihr eigenes Nervensystem zum Empfänger wird.« Er wirbelte herum. »Aber sorgen Sie sich nicht. Wir sind hart und schnell. Wir haben uns schon früher durch manche Klemme hindurchgezwängt.« Es hatte etwas Absurdes – ein Wesen ohne Kurzzeitgedächtnis, das mit seiner blitzschnellen Schläue prahlte. Sie hoffte nur, dass sein Skrod dem gerecht wurde.
Grünmuschels Stimme surrte schmerzhaft laut. »Da!«
Die Brandungslinie zog sich zurück, weiter, als sie es je gesehen hatte.
»Die See fällt!«, rief Grünmuschel. Der Rand des Wassers war hundert, zweihundert Meter zurückgewichen. Der grün gesäumte Horizont senkte sich.
»Das Schiff ist noch fünfzig Sekunden entfernt. Wir werden ihm entgegenfliegen. Kommt, Ravna!«
Ravnas Mut erstarb in dieser Sekunde. Grondr hatte gesagt, dass die Docks fallen würden! Der nähere Himmel war jetzt von Leuten übersät, die sich in Sicherheit bringen wollten. Hundert Meter weiter begann sich der Sand selbst zu verschieben, ein Erdrutsch, der sich dem Abgrund zuneigte. Sie erinnerte sich an etwas, das der ALTE gesagt hatte, und begriff plötzlich, dass die Flieger ein schrecklicher Fehler wären. »Nein! Nur höheres Terrain gewinnen!«
Die Nacht war nicht länger still. Ein Stöhnen wie von einer Glocke drang vom Meer her. Der Klang breitete sich aus. Die Brise des Sonnenuntergangs wurde stärker und neigte die Bäume zum Wasser hin, wirbelte Äste und Sand an ihnen vorbei.
Ravna kniete noch immer, die Hände auf Phams taube Arme gepresst. Kein Atem, kein Pulsschlag. Die Augen starrten blicklos. Das Geschenk des ALTEN für sie. Die MÄCHTE sollten alle verdammt sein! Sie fasste Pham Nuwen unter der Schulter und wälzte ihn sich auf den Rücken.
Sie schnappte nach Luft, verlor ihn fast aus dem Griff. Unter seinem Hemd fühlte sie Hohlräume, wo festes Fleisch hätte sein müssen. Etwas Nasses und Übelriechendes tropfte um ihre Seiten herab. Sie kämpfte sich von den Knien hoch, halb trug sie den Körper, halb zog sie ihn.
Blaustiel rief:
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