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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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kein Vierteljahr, da dekretiert er, zur wirklichen Musikerin reicht es bei dir nicht, laß das sein, du machst dich nur unglücklich dadurch. Basta. So. Und dann hat er mich auf seine Interessen dressiert. Ich war zweiundzwanzig. Und ein Idiot. Ich war ein Idiot, also, das Matterhorn ist nichts dagegen, so ein Idiot war ich. Natürlich weiß ich auch, daß er nichts dafür kann … aber warum ich … warum soll ausgerechnet ich dafür zahlen. Mein Klavier hab ich verkaufen müssen. Jaa! Er hat einen Fanatismus entwickelt gegen Musik. Entweder er oder die Musik! Noch ein Jahr, dann wäre es wahrscheinlich vorbei gewesen mit mir. Dann hätte ich es auch für immer ausgehalten. Prost. Ist das nicht ergreifend, was man alles aushält! Das hab ich ihm zu verdanken. Das weiß ich ein für alle Mal. Ich halte etwas aus. Ich … wetten, daß ich mehr aushalte als ihr zwei zusammen. Komm, los, jetzt wettet doch einmal mit mir. Ich möchte gewinnen. Ich hab schon so lang nichts mehr gewonnen. Mir ist es jetzt … ein Klavier habt ihr nicht in eurer grandiosen Ferienwohnung. Nicht einmal eine Geige. Das ist ein ganz schöner Beschiss. Eine Ferienwohnung ohne Klavier. Und keine Geige. Und das seit elf Jahren. Elf Jahre ohne Klavier und Geige. Ihr haltet doch was aus. Ihr müßt ganz schön abgehärtet sein. Laß mal fühlen, Helmut. Bist du abgehärtet? Deine Seele? Laß mal fühlen. Dein Ohrläppchen. Weißt du das nicht? Wie das Ohrläppchen, so die Seele. Also, du hast ein etwas ausgemolkenes Ohrläppchen, kommt mir vor. Und du, Sabinchen? Frauen haben einfach reichere Ohrläppchen als Männer, das stellt man immer, immer wieder fest. Überhaupt Frauen, mmm! Also es gibt Frauen, die haben einen Reichtum. Da kannst du jeden Mann vergessen. Was ist ein Mann, Sabine? Gibt an wie der Rotz am Ärmel, gut. Noch was? Nischt. Klaus hatte … ach Klaus … Irgendwie schwimme ich in einer Flüssigkeit. Und von der Flüssigkeit, in der ich schwimme, trink ich auch noch. Also das ist schon fast ein bißchen himmlisch. Wenn’s bloß nicht plötzlich aufhört. Helmut, du sorgst dafür, daß nicht plötzlich das Telephon geht und der Herr Dr. Stahlhagen aus München anruft und sagt, er wolle von uns nichts mehr … Was ich euch zu verdanken habe, das geht auf keine Kuhhaut, ehrlich. Ihr seid überhaupt die höchsten Menschen. Und euch treffen wir, wie’s praktisch zu spät ist. Sowas von einem Pech. Helmut, du weißt nicht, wie glücklich Klaus war, weil er dich getroffen hat. Es ist, wie wenn ich einen Schatz gefunden hätte, hat er gesagt. An dir, das hat er gespürt, an deiner ruhigen, festen Art, hätte er gesund werden können. Das hat ihm gefehlt, deine Vernunft, deine Ausgeglichenheit, die innere Ruhe. Ach, ihr zwei Lieben, ihr könnt mich jetzt ein bißchen baden, wenn ihr wollt. Ich bleib bei euch. Und ihr badet mich. Mit einem großen Schwamm. Habt ihr keine Badewanne. Ihr habt auch bloß Dusche. Halt auch ein bißchen armselig, gell. Macht doch nichts. Wäre ja nicht schlecht gewesen, wenn ihr mich gebadet hättet. Aber so ist es halt. Ich, Luxusgeschöpf, möchte in eine Badewanne. Aber eine Badewanne ist nicht da. Genau wie in der Wüste Sahara. Es könnte sein, ich werde jetzt traurig. Bitte, das müßt ihr euch nicht zu Herzen nehmen. Ein warmes Bad ist das Beste gegen Traurigkeit. Es muß schon gut warm sein. Wenn ich in einem warmen Bad liege, fange ich immer an zu singen. Obwohl ich sonst überhaupt nicht mehr singe in letzter Zeit. Also das ist so rapide zurückgegangen bei mir, das Singen. Praktisch auf unter Null. Manchmal hock ich und ströme ein Schweigen aus. Und in dem hock ich dann. Wie unter einer Glasglocke. Dann, meine Damen und Herren, packt es mich. Packt SIE mich. Die Schwermut halt, die cholerische, sich selbst zerbeißende. Weil ich nicht mehr wert bin als etwas, was man an die Wand wirft, damit es noch ganz hin ist und dann so kaputt liegen bleibt, daß man nicht mehr merkt, was es war oder wie es gedacht war. Das ist überhaupt das Wichtigste, daß die Zerstörung weit genug geht. Wenn man uns alle bloß halb kaputt machen würde, das gab eine Mitleidswoge, in der würden wir dann todsicher ersaufen und aus war’s mit der Welt. Als Zerschmetterte aber leben wir fühllos weiter. Ich danke Ihnen.
    Jetzt fangen wir sofort an. Wir haben schon zuviel Zeit vertan. Meine Damen, und Herren, ich bin nicht so vorbereitet wie man es heute als Künstlerin gern wäre. Aber auf eine andere Art bin ich wieder viel zu

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