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Ein fliehendes Pferd

Ein fliehendes Pferd

Titel: Ein fliehendes Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser , Helmuth Kiesel
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dachte er und genierte sich gleich stürmisch dafür, daß er in Gedanken so wüst mit Sabine umging. Kämpf doch nicht so, sagte Sabine und legte ihre Hand auf seine. Er entzog ihr seine Hand und streichelte Otto und sagte: Der ist mit Recht beleidigt, weil du gesagt hast, wir sähen ihm gleich, dabei siehst nur du ihm gleich, ich überhaupt nicht. Separatist, sagte sie. Findest du das gut hier, sagte er. Ich könnte ewig Leute anschauen, sagte sie. Ich nicht, sagte er. Schade, sagte sie. Ich geh’ jetzt, sagte er wütend. Nur noch eine Minute, sagte sie. Bitte, sagte er und sah auf die Uhr.

    2.

    Plötzlich stand ein zierlicher junger Mann vor ihrem Tisch. In Blue Jeans. Ein blaues Hemd, das offen war bis zu dem ungefärbten Gürtel, in den Zeichen eingebrannt waren. Und neben dem ein Mädchen, das durch die Jeansnaht in zwei deutlich sichtbare Hälften geteilt wurde. Wie sie, wohin man schaute, geländehaft rund und sanft war, war er überall senkrecht, durchtrainiert, überflußlos. Auf der tiefbraunen Brust hatte er nur ein paar goldblonde Haare, aber auf dem Kopf einen dicht und hoch lodernden Blondschopf. Wahrscheinlich ein ehemaliger Schüler, dachte Helmut. Das passiert einem ja leider immer wieder, daß man von ehemaligen Schülern oder Schülerinnen angesprochen wird. Und meistens von denen, die vorher alles getan haben, einem die Arbeit in der Schule unerträglich zu machen. Die, die einen gequält haben bis aufs Blut, die bauen sich dann plötzlich vor einem auf, grinsen, strecken die Hand her, stellen einem ein Mordsweib vor oder so ein erschütterndes Mädchen; womöglich auch noch ein paar glücklich kreischende Kinder, die einen mit pappigen Fingern berühren; dann quatschen sie einem die Ohren voll mit ihrer tollen Biographie und legen Reuebekenntnisse ab, beteuern, daß sie erst im Lauf der Jahre eingesehen hätten, was er für ein klasse Lehrer gewesen sei… Er konnte sich die Sentimentalitätsausbrüche seiner vormaligen Peiniger nur mit Widerwillen und Ekel anhören. Er sah den Herrschaften, während sie redeten, auf die Schuh beziehungsweise Zehenspitzen. Das tat er ja auch in der Schule. Darum Bodenspecht. Es dürften die Mädchen gewesen sein, die diese Kopf- und Körperhaltung bei ihm bewirkt hatten. Mit ihren rücksichtslosen Blusen und Hosen. Einmal hatte ihn die Kraft zur Verstellung verlassen; er hatte hingelangt; zum Glück hatte die Betroffene es für ein Versehen gehalten. Nein, der flammend Blonde in Blau, mit Augenweiß und Zähneweiß und nackten Füßen und schönen unbeschädigten Zehen, war kein Schüler, es war Klaus Buch. Und Klaus Buch wollte nicht glauben, daß ihn sein Schulkamerad und Jugendfreund und Kommilitone Helmut nicht mehr kenne. Helmut konnte sich nur immer wieder entschuldigen. Sein Erinnerungsvermögen für Gesichter und Namen sei professionell erschöpft, sagte er. Er habe sich schon zu viele Gesichter und Namen merken müssen. Klaus Buch… – er log sich vorwärts – …natürlich, jetzt erwache in ihm die Vertrautheitsempfindung, sowohl dem Namen wie dem Gesicht gegenüber. Und das ist also Sabine, Helmuts Frau. Und das ist Helene, genannt Hel, Klaus’ Frau. Als er dieser Hel die Hand gab, spürte er, daß Klaus jetzt ein Kompliment erwartete. Das war eine Frau wie eine Trophäe. Zumindest hätte Helmut seinem früheren Freund Klaus jetzt sagen müssen, wie perplex er, Helmut, sei, weil Klaus eher aussehe, als sei er ein Schüler von Helmut. Obwohl er jetzt allmählich zugeben müsse, einen Freund gehabt zu haben, der Klaus Buch geheißen und ausgesehen habe wie der junge vor ihm stehende Mann, könne er den vor ihm Stehenden überhaupt nicht mit dem in seiner Erinnerung allmählich auftauenden Klaus Buch zusammenbringen, einfach weil sein Klaus Buch inzwischen auch sechsundvierzig sein müßte, während der vor ihm Stehende doch eher sechsundzwanzig sei. Samt seinem Mädchen. Vor allem wegen seines Mädchens. All das sagte Helmut nicht. Kein Kompliment. Du wirst dich wundern, dachte er. Er sah den beiden auf die Fußspitzen. Auch ihre Zehen lagen wohlig und gerade nebeneinander. Die beiden redeten. Redend setzten sie sich. Sitzend redeten sie weiter. Helmut dachte an die Tagebücher Kierkegaards. Sabine gab alle Auskünfte, die durch Hels und Klaus’ Reden nötig wurden. Helmut nickte. Plötzlich fuhr Klaus Buch mit einem hellen Schrei hoch und schüttelte eine Hand durch die Luft, als sei sie ihm gerade verbrannt oder durchschossen worden. Helmut

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