Ein Frauenheld entdeckt die Liebe
darüber, dass sie alle Hoffnung aufgeben musste. Denn das hatte sie begriffen: Keine Behandlung, keine Medizin konnte jetzt noch den baldigen Tod ihres Vaters verhindern. Ein Schlaftrunk würde sein Leiden lindern. Doch darüber hinaus konnte man nichts mehr für ihn tun.
Dr. Rigaud verabschiedete sich mit dem Hinweis darauf, dass er selbstverständlich so rasch wie möglich kommen würde, wenn er gebraucht würde. Väterlich legte er der jungen Dame die Hand auf die Schulter und stieg dann die Treppe hinunter. Als er die schwere Eichentür öffnete, die die Privaträume der Cachets vom Spielsalon trennte, drangen Serena laute Stimmen und Lachen ans Ohr. Sie wusste, dass die Spieltische zurzeit gut besucht waren. Nach der Schlacht bei Waterloo hatten unzählige Männer den Weg nach Paris eingeschlagen. Viele von ihnen suchten Vergessen beim Glücksspiel.
Das allerdings interessierte Mademoiselle Serena Cachet im Moment kaum. Was sollte sie mit einer gut gefüllten Geldbörse, wenn sie den Inhalt nicht gemeinsam mit ihrem Papa ausgeben konnte?
Wichtig war jetzt nur eins: Sie wollte die letzten kostbaren Stunden mit ihrem Vater so intensiv wie nur möglich erleben. Er sollte seine Tochter nicht in Tränen aufgelöst sehen. Sie wollte ihm ruhig und liebevoll entgegentreten. Also fuhr sie sich mit der Hand glättend über die Locken, ehe sie sie sorgfältig im Nacken zusammenband. Dann strich sie ihren Rock glatt, holte tief Luft, hob den Kopf und betrat das Krankenzimmer.
Schwere Samtvorhänge verdeckten die bleigefassten Fensterscheiben und dämpften den Lärm, der von der Straße heraufdrang. Es war warm und ein wenig stickig im Raum. Im gedämpften Licht war ein großer Spiegel zu erkennen, außerdem ein dicker Teppich und wertvolle mit Bienenwachs behandelte Möbel, deren gold- und silberfarbene Beschläge auf Hochglanz poliert waren. Auf dem Nachttisch befanden sich mehrere Arzneiflaschen. Ein Gefäß mit Salbe stand neben einigen Streifen Leinen, die zum Verbinden der Wunden benutzt werden konnten. Mehrere von Blut durchtränkte Stoffstreifen lagen auf dem Fußboden und legten Zeugnis davon ab, dass der Arzt die Verbände gewechselt hatte. Es roch nach Lavendelwasser und Laudanum.
Inmitten der vielen Kissen und Decken auf dem breiten Bett wirkte Philip Cachet erschreckend klein. Tatsächlich war er immer ein großer kräftiger Mann gewesen. Doch zusammen mit dem Blut, das er verloren hatte, waren auch seine Kräfte geschwunden. Er war regelrecht in sich zusammengefallen. Sein Atem ging unregelmäßig, und seine Haut war krankhaft blass. Der kahle Kopf schien ohne die Perücke, die er im Allgemeinen trug, nur halb so groß zu sein.
Warum hat er seine Börse nicht einfach abgegeben, dachte Serena wohl zum hundertsten Mal.
Seit ihr Vater blutüberströmt, die Hand auf die Brust gepresst in die Wohnung gestolpert war, hatte sie nicht aufhören können, mit dem Schicksal zu hadern. Sie verfluchte den Räuber, der Philip Cachet sein Geld abgenommen hatte und ihm nun auch das Leben rauben würde.
Der Arzt hatte dem Verletzten klargemacht, dass die Wunde bei der kleinsten Bewegung erneut zu bluten beginnen könne. Daher rührte Philip Cachet sich nicht, als seine Tochter auf ihn zutrat. Seine Augen, die genauso blau waren wie die ihren, leuchteten allerdings kaum merklich auf.
„ Ma belle “, begrüßte er Serena mit schwacher Stimme, „wie schön, dass du da bist. Ich habe dir etwas sehr Wichtiges zu sagen, denn meine Zeit ist gekommen.“
Sie wollte widersprechen, doch mit einer kleinen Geste gebot er ihr zu schweigen.
„Ich weiß, dass ich bald sterbe. Deshalb musst du mir nun genau zuhören.“ Ein Hustenanfall schüttelte ihn. Und in seinem Mundwinkel zeigte sich ein Tropen Blut, den er mit zitternden Fingern fortwischte.
Noch konnte man erkennen, dass Philip Cachet einst ein attraktiver Mann gewesen war. Damals war sein markantes Gesicht oft von einem charmanten Lächeln erhellt worden, dem niemand hatte widerstehen können. In gefährlichen Situationen – und davon hatte es mehr als genug gegeben – hatte sein Charme ihn einige Male gerettet. Cachet hatte seine berufliche Laufbahn nämlich als Spieler begonnen. Er war klug, beherrscht, geschickt und hatte daher im Laufe der Jahre genug gewonnen, um seinen ersten Spielsalon in Paris zu eröffnen. Andere in anderen Städten waren diesem ersten gefolgt. Beinahe dreißig Jahre lang hatte Cachet sich und seine Familie mithilfe des Glückspiels
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