Ein Frauenheld entdeckt die Liebe
Beeindruckt schaute Serena sich um. Doch da hatten sie schon eine in der hölzernen Wandverkleidung kaum erkennbare Tür erreicht, hinter der sich ein sonnendurchfluteter kleiner Salon befand. Hohe Fenster gaben den Blick auf den Garten frei. Im Kamin knisterte ein Feuer. Auf dem Tisch stand ein bunter Strauß, dessen süßer Duft den Raum erfüllte.
„Mr. Lytton wird gleich bei Ihnen sein, Madam.“ Mit einer Verbeugung zog der Butler sich zurück.
Serena faltete die in weichen Handschuhen steckenden Hände, damit sie nicht so sehr zitterten. Dann holte sie tief Luft und schaute sich neugierig um.
Sie befand sich in einem geschmackvoll eingerichteten Zimmer, das offenbar häufig genutzt wurde. Das Holz der Möbel hatte einen warmen Glanz. Der Teppich war in Rot- und Goldtönen gehalten; Farben, die sich im Poster der Stühle und des Sofas wiederholten. Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt.
Wie würde der Besitzer dieses bezaubernden Hauses sie empfangen? Leider musste sie mit einem wenig angenehmen Gespräch rechnen. Nick Lytton und Philip Cachet waren einst Freunde gewesen. Vor langer Zeit hatten sie einander noch gelegentlich geschrieben. Doch irgendwann war der Kontakt eingeschlafen. Gesehen hatten die beiden sich zuletzt vor etwa dreißig Jahren. Es bedrückte Serena, dass sie nun die Nachricht vom Tode ihres Vaters überbringen musste.
Nervös begann sie im Raum auf und ab zu schreiten. Als sie sich der Wandvertäfelung näherte, bemerkte sie, dass diese mit geschnitzten Blättern, Blüten, Ranken und Tieren verziert war. Inmitten anderer Blumen entdeckte Serena eine kleine Rose.
Allein nun blüht noch die letzte Rose des Sommers. Diese Worte hatte ihr Vater in jener schrecklichen Nacht mehrfach wiederholt, und Serena hatte sie nachsprechen müssen. Denn angeblich stellten sie den Schlüssel dar, mit dessen Hilfe das Geheimnis gelüftet werden konnte. Gleichzeitig würden sie Nick Lytton beweisen, dass seine Besucherin keine Betrügerin war.
Wie sollte sie sich den Freund ihres Papas vorstellen, jenen Unbekannten, der plötzlich so große Macht über ihre Zukunft erlangt hatte? Er würde natürlich etwa so alt wie ihr Vaters sein. Der Zustand seines Anwesens und die Einrichtung des Hauses bewiesen zudem, dass er über einen gewissen Reichtum verfügte. War er ein mit zunehmendem Alter dick gewordener Landbesitzer? Ein Mann, der zu fett aß, zu viel trank und unter Gicht litt?
„Ich bin Nicholas Lytton“, sagte eine klangvolle Stimme. „Womit kann ich Ihnen dienen, Mademoiselle?“
Sie zuckte zusammen. In ihre Gedanken versunken hatte sie nicht gehört, wie die Tür geöffnet wurde. Nun stellte sie erschrocken fest, dass Mr. Lyttons Stimme – so angenehm sie auch war – ihr sehr bekannt vorkam. Verflixt! Langsam wandte sie sich um. Als sie den Gentleman ansah, gefror ihr das charmante Lächeln, mit dem sie ihn hatte begrüßen wollen, auf den Lippen.
Er hatte gebadet und die Kleidung gewechselt. In seiner hellen Hose und dem perfekt sitzenden Gehrock aus feinstem Garn sah er überaus elegant aus. Sein makellos weißes Krawattentuch war zu einem einfachen Knoten geschlungen, sein Leinenhemd frisch gebügelt, die Weste aus gestreifter Seide ein Beispiel für echte Schneiderkunst.
Serena musste sich zwingen, den Blick zu heben. Das Gesicht ihres Gegenübers zeichnete sich durch ein festes Kinn, einen fein geschwundenen, sehr männlichen Mund, hohe Wangenknochen, eine gerade Nase und kluge, schon wieder ein wenig spöttisch dreinblickende Augen aus. Graue Augen!
Nicholas Lytton verbeugte sich und trat, die Hand ausstreckend, auf seinen Gast zu.
Serena errötete. Und plötzlich war ihr heiß – was nichts mit dem kleinen Feuer zu tun hatte, das im Kamin flackerte.
Der Gentleman schien sich köstlich darüber zu amüsieren, dass sie so verwirrt war. Lächelnd führte er sie zu einem bequemen Sessel und ließ sich dann ihr gegenüber nieder. „Ich habe Tee bestellt“, sagte er freundlich. „Sie sehen aus, als könnten Sie eine Tasse gebrauchen.“
Dieser Schurke genoss es, sie in Verlegenheit zu bringen! Serena funkelte ihn zornig an. Sie straffte die Schultern und gab ihrem Gesicht einen neutralen Ausdruck, der allerdings gar nicht zu den widerstreitenden Gefühlen passen wollte, die sie erfüllten. „Sir“, begann sie kühl, „Sie haben mich, was Ihre Identität betrifft, schon einmal in die Irre geleitet. Ich muss Sie bitten, das kein zweites Mal zu tun.“
„Gestatten Sie, dass
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