Ein Freund der Erde
Fenster. Aber es sieht so aus – ja, irgend jemand war hier und hat sie mit Brettern verrammelt, die meisten jedenfalls.« Sie dreht sich zu mir um, begeistert von diesem erneuten Triumph ihres chirurgisch optimierten Sehvermögens, und ich erwäge kurz, sie von nun an »Adlerauge« zu nennen. »Glaubst du...«
»Mag«, sage ich. »Oder Mug.«
Das ist allerdings eine Überlegung wert – womöglich sitzt Mag da drin, schwelgt in Erinnerungen an durchtrottete Savannen und mit dem Speer erlegte Oryxantilopen und ist nicht im mindesten damit einverstanden, daß wir in seinen Lebensraum eindringen. Aber nein, Mag kann nicht hiersein – der sitzt in irgendeinem Apartment, hockt vor der Glotze in Polohemd und Jeans, wie alle anderen. Wie ich die Hütte aus zusammengekniffenen Augen konzentriert betrachte, wirkt sie unbewohnt, außer vielleicht von Waldameisen und Eidechsen. Aber es gibt nur einen Weg, es herauszufinden, und Andrea, wie immer einen Schritt voraus, hat bereits die Axt in der Hand.
Es dauert eine halbe Stunde, aber es gelingt uns, eine Reihe rumpfdicker Äste von dem umgestürzten Baum vor uns zu entfernen. Nachdem ich Petunia an der Stoßstange des Olfputt angebunden habe, helfe ich Andrea über den nun kahlen Stamm des toten Baumes, und dann hilft sie mir. Als ich auf der anderen Seite bin, mit beiden Beinen auf dem Boden, keine fünfzig Meter von der Hütte entfernt, ist mir, als hätte ich eine neue Welt betreten. Oder vielmehr eine alte Welt, eine Welt, die nur noch im wirren Neuronengeknister meines armen rasselnden Gehirns existiert. Da ist die vordere Veranda, noch immer intakt, die Stufen, auf denen Sierra saß, wenn wir Schach oder Monopoly spielten, die Tür, die Ratchiss mit der Schulter aufstieß, wenn er mit den Einkaufstüten hereinkam. Zum erstenmal seit langem verspüre ich etwas Ähnliches wie Optimismus oder zumindest eine Abnahme des Pessimismusgradienten. Es wird funktionieren, sage ich mir, es wird alles gut werden.
Drinnen sieht es in etwa aus, wie es nach über fünfzehn Jahren Verwahrlosung zu erwarten war – doch ist hier nicht nur passiver Zerfall am Werk gewesen, sondern eine aktive Verschwörung der Elemente, die Hütte zu Boden zu ringen. Das größte Problem ist der Baumstamm, der wie das hochgelagerte Bein eines schlafenden Riesen quer über dem Dachfirst liegt – und es wird ein unlösbares Problem werden, wenn die Unwetter losbrechen –, aber einstweilen müssen wir einfach damit leben. Andrea steht inmitten der Trümmer am Boden, das Kinn entschlossen vorgeschoben, die Schultern zurückgeworfen, und denkt in dieselbe Richtung. »Im Winter können wir eben nur die hinteren Räume bewohnen«, sagt sie und bückt sich geistesabwesend, um ein gelbes Stück Gewebe von der Größe eines Topflappens aufzuheben. Es dauert eine Zeitlang, und ich muß es betasten und zwischen Daumen und Zeigefinger reiben, aber dann wird mir klar, was es ist – die Überreste des Löwenfells, zernagt von Generationen von Waldratten und dergleichen. Und von Vögeln. Die Vögel darf man nicht vergessen, denn sie sind immer noch da, sie leben noch, einige jedenfalls. Ich habe plötzlich das Bild eines Spatzen vor Augen, der sein Nest mit Löwenfell auspolstert, und warum muß ich dabei so grinsen?
Alle übrigen Trophäen – Rappenantilope und Flußschwein, Stammesschilde und Elefantenbüchsen – haben schon vor langem irgendwelche Plünderer von den Wänden gerissen, die auch alle sonstigen Wertgegenstände mitgenommen haben dürften, einschließlich der Badezimmerarmaturen; der Holzboden hat Löcher, durch die eine Bowlingkugel passen würde, die Badewanne enthält eine Brühe aus Algen und Mückenlarven, und mindestens drei Viertel der Hartholzschindeln – der Löwenanteil sozusagen – sind vom Dach gerissen und quer über den Kontinent geblasen worden wie dünne Zweiglein. Im Chaos der Küche, schändlich auf dem Fußboden dahingestreckt unter einem Haufen zerbeulter Pfannen, gesplittertem Glas und Geschirrtüchern, liegt der Menschenfresser von Luangwa persönlich, immer noch aufgebäumt, die Zähne gebleckt und mittels des Pflockes, der ihm durch das Rückgrat getrieben wurde, an dem schweren Metallsockel befestigt. Andrea stößt einen leisen Schrei aus, und dann angelt sie zwischen Sägespänen und Mäusedreck eine kalte, harte glitzernde Kugel aus einer Bratpfanne. Und was ist das? Das Glasauge des Menschenfressers, eine große goldene Katzenaugenmurmel mit dem schwarzen Schlitz
Weitere Kostenlose Bücher