Ein Freund der Erde
Saint Helens, so sieht es aus. Wie Mount Saint Helens nach dem Ausbruch.
Andrea stößt einen leisen Pfiff aus, und Petunia spitzt die Ohren, immer wachsam. »Ich wußte, daß es schlimm ist«, sagt sie und läßt mich den Gedanken beenden.
Ich nicke zustimmend und bin so betäubt, als hätte man mich auf den Mars verpflanzt. Draußen hat es dreißig Grad, es bläst ein ordentlicher Wind, und der Schnee – der alles erdrückende Rekordschnee, der zugedeckt hat, was die Stürme und die Käfer und die Dürre übrigließen – ist weg. Sehe ich auch Zeichen der Hoffnung? Am Ende des Parkplatzes, wo drei verwitterte Pickups dicht an der Tür zur Bar stehen, lugen ein paar Gräser aus der müden Erde, frisch aufgeplatzte Knospen prangen wie gekrümmte Finger an den Zweigen der arthritischen Espen, und was noch? Einen Vogel. Einen schäbigen mutierten Häher von der Farbe eines vollgesogenen Tintenlöschers, der irgend etwas Fasriges im Schnabel hält. »Ich brauche einen Drink«, sage ich.
Drinnen hat sich überhaupt nichts verändert: ein paar gedrungene Gestalten in dreckigen T-Shirts und Baseballmützen hocken an der Theke aus knorrigen Kiefernbrettern, ein zerlumpter Hirschkopf starrt von der Wand herunter, verfärbte Flecken auf dem Boden, wo das Dach geleckt hat und wieder lecken wird, staubige Gläser mit eingelegten Eiern und noch staubigere Flaschen, die einst Scotch, Bourbon und Tequila enthielten. Und die Glotze natürlich, wo eine Show namens Kochen ohne Eier läuft, in der ein sackgesichtiger Küchenchef mit Kochmütze und Schürze in einer tiefen Schüssel aus rostfreiem Stahl etwas entfernt Eierartiges zusammenrührt. Wer hier junge oder auch nur mittelalte Leute sucht, wird enttäuscht. Ich sehe Gesichter, die so zerfurcht und verrunzelt sind wie die Straße, die hierherführt, triefende Augen, schlaffe Kinnladen, aus Ohren und Nasenlöchern wachsen Sträuße von nikotinfarbenem Haar – wir sind unter unseresgleichen, endlich. Ich schiebe Andrea einen Hocker hin, sie ist die einzige Frau im Raum, und warte auf den Barkeeper, der nun die Theke entlang auf uns zuschlurft. Er keucht beim Atmen. In der Hand hält er einen Becher Kaffee. Er bleibt vor uns stehen, kein Zeichen des Wiedererkennens, und hebt fragend die Augenbrauen. »Scotch«, sage ich hoffnungsfroh, »und für meine Frau einen Wodka Gibson?«
»Genau«, sagt sie, »zwei Oliven, sehr trocken. Und ein Glas Wasser. Bitte.«
Am anderen Ende der Bar läuft eine gemurmelte Unterhaltung, müde Stimmen, dann die Pointe, müdes Gelächter. Andreas Hand greift nach meiner, die auf dem Oberschenkel ruht. »Meine Frau?« fragt sie.
Ich mag den Blick in ihren Augen. In diesen Blick habe ich mich mal verliebt, seinerzeit, vor vielen Gefängnisstrafen. »Was soll ich denn sonst sagen – ›Einen Drink für meine Ex hier‹?«
Der Barkeeper stellt uns zwei Glas mit trübem Sake und ein Wasser hin, kein Eis, und ich versuche ihm die Jahre vom Gesicht abzuziehen, seine Schultern aufzurichten, die Wampe wegzulassen; kenne ich ihn? »Sind Sie schon lange hier?« frage ich ihn.
Er hat einen Vollbart in vier verschiedenen Graustufen, die Sorte, die von den Wangenknochen absteht, als ob ihm ein Sturmwind um den Kopf bläst. Er stützt sich auf dem Tresen auf, und allein daran lese ich ein halbes Dutzend Wehwehchen ab: Leberprobleme, kaputte Füße, Schleimbeutelentzündung, Arthritis, künstliches Hüftgelenk, Kriegsverletzungen. »Seit neunzehnhundertzweiundsechzig«, sagt er und streift mit einem Blick seiner wäßrigen Augen die Brust von Andreas Kleid.
Sie schaltet sich ein: »Was ist mit den Bäumen passiert? Hier oben war’s immer so schön.«
Einen kurzen Moment lang – der Fernsehkoch brabbelt irgendwas über synthetisches Öl und Opuntienkaktusmark aus der Dose, draußen der pfeifende Wind, die fahle Sonne, irgendwo auch der Häher wie ein verirrtes Traumfragment – habe ich das Gefühl, wir schwimmen alle auf einer Welle, überdenken diese Frage und ihre Konsequenzen: die drei jungalten Männer am anderen Ende der Theke, der Barkeeper, Andrea und ich. Was ist passiert, genau. Doch der Barkeeper, der sich einen nassen Lappen von einer Hand in die andere klatscht, wie eine Eidechsenzunge, bricht den Bann. Er zuckt die Achseln, ein beredtes Zusammenziehen der massigen Schultern. »Hab nicht den geringsten Schimmer«, sagt er.
Keiner hat dem etwas hinzuzufügen, und eine Zeitlang ist es still in der Bar, bis einer der Männer gegenüber murmelt:
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