Ein Ganz Besonderer Fall
nichts zustieß. Da drüben gibt’s was zu holen!«
Sie warteten ab, diese rachsüchtigen Händler und Handwerker aus Winchester, sie hielten sich zurück, bis der Schlachtlärm in der Ferne verklungen war. Vor Einbruch der Nacht würde es Plünderungen geben. Kein Mensch kann, mit Helm und Kettenhemd befrachtet, schnell reiten. Selbst die Schwerter würden sie fortwerfen, um das Gewicht zu vermindern, das ihre Pferde tragen mußten. Und selbst wenn sie optimistisch genug waren, um zu glauben, daß sie ihre Wertsachen mitnehmen konnten, würde es ausgiebige Plünderungen geben, bevor der Tag verstrichen war.
Also war er gekommen, der erwartete Versuch, den eisernen Ring der Armee der Königin zu sprengen, doch er war zu spät gekommen, um Erfolgsaussichten zu bieten. Nach der Katastrophe in Wherwell mußte selbst die Kaiserin eingesehen haben, daß sie ihre Stellung nicht mehr halten konnte.
Im Nordwesten, über der Straße nach Stockbridge und den ansteigenden Hügeln, waberte ein glitzernder Schleier aus Staub, der rollte und tanzte und sich ausbreitete, während sich die Reiter zurückzogen. Nicholas machte sich auf, der Wolke zu folgen, wie es bereits die mutigsten, die gierigsten oder die rachsüchtigsten Städter zu Fuß taten. Zu Pferd überholte er sie rasch und stieß im welligen Hügelland allein auf die ersten Spuren des Angriffs, dem die Armee der Kaiserin zum Opfer gefallen war. Ein einsamer gefallener Krieger, ein lahmes, streunendes Pferd, ein schwerer Schild, achtlos fortgeschleudert, der erste von vielen. Eine Meile weiter war der Boden mit Waffen und abgerissenen Stücken von Rüstungen übersät, die auf der Flucht fortgeworfen worden waren, mit Helmen, Kettenhemden, Satteltaschen, Kleidern, Münzen und Silberschmuck, feinen Gewändern und Silberbesteck von den Tischen der Adligen, denn auf all dies konnte man verzichten, wenn es ums nackte Leben ging. Aber nicht einmal um diesen Preis hatten alle ihr Leben retten können. Im Gras lagen zertrampelte, entstellte Leichen, erschreckte Pferde rannten im Kreis herum, einige Tiere, die beinahe zu Tode geritten worden waren, lagen keuchend am Boden. Es war keine Schlacht gewesen, sondern eine Strafexpedition, worauf eine entsetzte, überstürzte Flucht gefolgt war.
Er hatte angehalten und starrte elend und staunend die Szene an, während sich vor ihm Fliehende und Verfolger unter der glänzenden Wolke dem Fluß Test und der Stadt Stockbridge näherten. Er ritt nicht weiter, sondern machte sich auf den Rückweg zur Stadt; an diesem Tagewerk wollte er nicht teilhaben. Kurz darauf kamen ihm die ersten Plünderer entgegen, die gierig die bitteren Früchte des Sieges einsammelten.
Drei Tage später ritt er am frühen Nachmittag wieder in den großen Hof der Abtei von Shrewsbury ein, um das Versprechen zu erfüllen, das er gegeben hatte. Bruder Humilis war bei Cadfael im Kräutergarten. Er saß im Schatten, während Fidelis aus dem reichhaltigen Angebot an Pflanzen einige Zweige und Ranken auswählte, die er als Vorlage für die Illustration eines großen Anfangsbuchstabens brauchte; er nahm Zaunrüben, Flockenblumen und Ochsenzunge und einige verschlungene Wickenranken, die sich gut für die Umrahmung der Buchstaben eigneten. Der junge Mann interessierte sich für Kräuter und ihre Anwendungen und half manchmal bei der Herstellung der Arzneien, die Cadfael zur Behandlung von Humilis benutzte. Er behandelte die Pflanzen mit tiefer, stiller Hingabe, als wäre seine Liebe die letzte Zutat, die noch nötig war, damit die Arznei ihre volle Wirkung entfalten konnte.
Der Pförtner, der Nicholas inzwischen gut genug kannte, erklärte ihm ohne Nachfrage, wo Humilis zu finden sei. Das Pferd blieb angebunden am Torhaus zurück, denn Nicholas wollte gleich nach Lai weiterreiten. Er schritt energisch auf dem Kiesweg um die Ecke der gestutzten hohen Hecke, hinter der Humilis an der Südwand auf der Bank saß. Nicholas war so auf Humilis konzentriert, daß er ohne einen Blick an Fidelis vorbeiging, und der junge Bruder, der durch diese plötzliche und schweigende Ankunft erschrak, drehte ihm den entblößten Kopf und das unbedeckte, sonnenbeschienene Gesicht zu, doch er verfiel sofort wieder in seine gewohnte Zurückhaltung und hielt sich von der Begegnung fern, die in einem früheren Treueschwur begründet war. Er zog sich sogar die Kapuze über den Kopf und wich still in den Schatten zurück.
»Mein Herr«, sagte Nicholas, indem er vor Humilis die Knie beugte und
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