Ein Ganz Besonderer Fall
war nach dem Abschied sehr bedrückt.«
»Das könnte wahr sein«, erwiderte Arnulf, der Aufseher.
»Gewiß war er nicht mehr der Alte, als er von der Reise zurückkam. Solche kleinen Mädchen können einem Mann den Kopf verdrehen und sein Herz ergreifen. Vielleicht hat sie das mit ihm getan. Wenn man sie von der Wiege an kennt, trifft einen so eine Trennung bis ins Mark.«
Reginald nickte düster. »Nun, er ging also fort. Zwanzig Männer erbat mein Lehnsherr von mir, und zwanzig Männer bekam er. Er stritt sich mit den Bischöfen und brauchte frische Truppen. Wo immer er sich gerade befindet, Heriet ist außer unserer Reichweite. Aber die anderen sind alle hier?«
»Die Sachsenbrüder sind im Speicher über den Ställen.
Bonde müßte bald von der Feldarbeit zurückkehren.«
»Bringt sie zu mir«, sagte Reginald. Und nachdem der Aufseher sein Trinkhorn geleert hatte und so gewandt und schnell wie ein Zwanzigjähriger die Treppe in den Hof hinuntergeeilt war, wandte er sich wieder an Nicholas. »Wie ich mir diese vier auch besehe, ich kann keinen Verrat erkennen.
Warum sollten sie zurückkehren, nachdem sie das Mädchen irgendwie verraten hatten? Und warum sollten sie sie überhaupt verraten? Arnulf sagt mit Recht, daß sie wohl wußten, daß sie es hier gut hatten, denn mein Vater war von der alten, wohlwollenden und familiären Art, viel milder als ich es bin, und auch ich werde nicht gehaßt.« Nach dem kleinen Lächeln und den verzogenen Lippen zu urteilen, die im schwachen Schein der Lampe gelblich hervortraten, wußte er um die Spannungen, die immer noch zwischen Sachsen und Normannen bestanden, und war sicher zu intelligent, um diese Beziehung allzusehr zu belasten. Auf dem Land hielten sich Erinnerungen lange, und mit ihnen Treueschwüre, die schwer aufzulösen und abzulösen waren.
»Euer Aufseher ist Sachse«, bemerkte Nicholas trocken.
»Das ist er! Und er ist zufrieden! Oder wenn nicht zufrieden«, fuhr Reginald fort, im trüben Licht zugleich düster und strahlend, »dann weiß er zumindest, daß er es schlechter haben könnte, erheblich schlechter. Ich bin dem Beispiel meines Vaters gefolgt und weiß, wann ich nachgeben muß.
Aber wenn meine Schwester betroffen ist, dann werde ich beinhart, das kann ich Euch sagen.«
So erging es auch Nicholas: steif, als wäre das Mark in seinen Knochen versteinert. Als die drei herbeigerufenen Knechte müde die Treppe zur Halle hochstiegen, musterte er sie mit der gleichen undurchdringlichen Miene wie ihr Herr. Es waren zwei große Burschen mit hellen Haaren, kaum mehr als dreißig Jahre alt, mit der Anmut ihrer Ahnen aus dem Norden und mit Augen, in denen sich das Licht in hellblauen Blitzen spiegelte, und ein fülliger, vierschrötiger Mann mit rundem Gesicht, bärtig und gebräunt, der ein wenig älter sein mochte als sie.
Es konnte wahr sein, dachte Nicholas, daß sie ihren Herrn nicht haßten und sich im Vergleich zum Schicksal ihrer Blutsverwandten glücklich schätzten, da sie nun schon in der dritten Generation für nachsichtige normannische Herren arbeiteten. Trotzdem standen sie eingeschüchtert vor Reginald, denn ein solcher Ruf des Herrn, der vom üblichen Ablauf ihres Arbeitstages abwich, machte sie mißtrauisch und besorgt. Ihre Gesichter waren verschlossen, als wäre ein Deckel über eine Kiste voller Gedanken gefallen, die dem Herrn besser verborgen blieben. Doch dies änderte sich, als sie verstanden, was Reginald von ihnen wissen wollte. Die verschlossenen Gesichter öffneten und entspannten sich, und Nicholas erkannte, daß keiner der drei sich in bezug auf die Reise unwohl fühlte. Vielmehr erinnerten sie sich mit Freuden an die sorglose Pilgerfahrt, die ihnen einen Urlaub von der Arbeit verschafft hatte und auf der sie gut versorgt und mit Waffen gerüstet geritten waren, statt laufen zu müssen.
Ja, natürlich erinnerten sie sich. Nein, sie hatten unterwegs keine Schwierigkeiten gehabt. Eine Dame, die von zwei Bogenschützen und zwei Schwertkämpfern begleitet wurde, hatte nichts zu fürchten. Der größere der Sachsenbrüder hatte anscheinend einen neuen Langbogen benutzt, der zur Schulter gespannt wurde, während John Bonde einen kurzen walisischen Bogen besaß, der vor der Brust gespannt wurde.
Dieser kleinere Bogen hatte eine geringere Durchschlagskraft und eine kleinere Reichweite als der Langbogen, doch auf kurze Entfernungen konnte man sehr schnell und genau mit ihm schießen. Der andere Bruder war ein Schwertkämpfer wie
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