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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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als eine uniformierte junge Frau mit einem Klemmbrett und einem strahlenden Lächeln entschlossen auf uns zukam.
    «Die wird uns ja eine Riesenhilfe sein, wenn wir Will ins Flugzeug bringen», brummte Nathan. «Die sieht aus, als könnte sie nicht mal eine gefrorene Garnele hochheben.»
    «Wir schaffen das», sagte ich. «Zusammen schaffen wir das schon.»
    Das war mein Leitspruch geworden, seit ich auf den neuen Reiseplan gekommen war. Nach meinem Gespräch mit Nathan in der Küche hatte ich mir ein neues Ziel gesteckt, um ihnen allen zu beweisen, dass sie sich irrten. Nur weil wir die Reise nicht unternehmen konnten, die ich ursprünglich geplant hatte, bedeutete das noch nicht, dass Will überhaupt nichts machen konnte.
    Ich loggte mich in die Foren ein und überschüttete die Online-Rollstuhlfahrer mit Fragen. Was wäre ein guter Ort, an dem sich ein ziemlich geschwächter Will erholen konnte? Wusste irgendwer, wohin wir fahren könnten? Die Temperatur bereitete mir das größte Kopfzerbrechen – das Wetter in England war zu wechselhaft (und es gab nichts Deprimierenderes als ein englisches Seebad bei Regen). In weiten Teilen Europas war es Ende Juli zu heiß, sodass Italien, Griechenland, Südfrankreich und andere Küstengebiete nicht in Frage kamen. Ich hatte eine genaue Vorstellung im Kopf. Ich sah Will vor mir, der sich am Meer entspannte. Das Problem war, dass ich nur ein paar Tage hatte, um zu planen und loszufahren, womit meine Chancen, die Reise zu verwirklichen, immer geringer wurden.
    Die anderen drückten mir ihr Mitgefühl aus, und ich bekam viele, viele Berichte über Lungenentzündungen. Sie schien das Schreckgespenst zu sein, vor dem sich alle fürchteten. Ich bekam ein paar Reisevorschläge, aber keiner davon gefiel mir. Oder besser gesagt, es war keiner dabei, von dem ich glaubte, dass er Will gefallen würde. Ich wollte keine Kurkliniken oder andere Orte, an denen er Leuten begegnen würde, die in derselben Situation waren wie er. Ich wusste eigentlich nicht, was ich wollte, aber ich scrollte mich vorwärts und rückwärts durch die Vorschläge und wusste, dass keiner davon passte.
    Es war schließlich Ritchie, der treue Chatroom-Besucher, der mir half. An dem Nachmittag, an dem Will aus dem Krankenhaus entlassen wurde, schrieb er:
Gib mir deine E-Mail-Adresse. Mein Cousin arbeitet im Reisebüro. Ich habe ihm gesagt, er soll sich was einfallen lassen.
    Ich rief die Nummer an, die Ritchie mir schickte, und sprach mit einem Mann mittleren Alters und breitem Yorkshire-Dialekt. Als er mir sagte, was er sich vorstellte, klingelte es irgendwo in den Tiefen meiner Erinnerung. Und innerhalb von zwei Stunden hatten wir die Reise fertig geplant. Ich war ihm so dankbar, dass ich hätte heulen können.
    «Gern geschehen, meine Liebe», sagte er. «Sorgen Sie einfach dafür, dass Ihr Freund eine gute Zeit hat.»
    Bis wir losfuhren, war ich beinahe genauso erschöpft wie Will. Ich hatte Tage mit den Kleinigkeiten gekämpft, die es bei einer Reise mit einem Tetraplegiker zu bedenken galt, und bis zum Morgen unseres Fluges war ich nicht ganz überzeugt, dass es Will gut genug ging, um zu reisen. Und jetzt betrachtete ich ihn, wie er bleich und zurückgezogen zwischen unserem Gepäck in der trubeligen Flughafenhalle saß, und fragte mich erneut, ob ich einen Fehler machte. Ich bekam Panik. Was war, wenn er wieder krank wurde? Was, wenn er jede Sekunde auf dieser Reise hasste, so wie er die Pferderennbahn gehasst hatte? Was, wenn ich die ganze Situation falsch eingeschätzt hatte, und was, wenn Will überhaupt keine aufwendige Reise brauchte, sondern zehn Tage zu Hause in seinem Bett?
    Aber wir hatten keine zehn Tage mehr übrig. Das war es jetzt. Das war meine letzte Chance.
    «Sie rufen unseren Flug auf», sagte Nathan, als er vom Duty-free zurückkam. Er sah mich an, hob eine Augenbraue, und ich atmete tief ein.
    «Okay», antwortete ich. «Es geht los.»
    Der Flug war trotz zwölf langer Stunden in der Luft nicht die Tortur, die ich gefürchtet hatte. Nathan erwies sich als sehr geschickt darin, Wills üblichen Katheterwechsel unter einer Decke vorzunehmen. Beim Einstieg waren die Flugbegleiter aufmerksam und diskret gewesen und vorsichtig mit dem Stuhl umgegangen. Will wurde wie versprochen als Erster ins Flugzeug und ohne Probleme zu seinem Sitz zwischen Nathan und mir gebracht.
    Nach einer Stunde Flug fiel mir auf, dass Will über den Wolken, auf seinem zurückgelehnten Sitz und mit genügend Halt für

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