Ein ganzes halbes Jahr
hören. Während ich das tat, musste ich eine boshafte Stimme in meinem Inneren niederkämpfen, die sagte: So würde es sich anfühlen, wenn er tot wäre . Um die Stimme zu übertönen, drehte ich das Radio auf, versuchte, Leben in den Anbau zu bringen. Ich räumte ein bisschen auf, bezog Wills Bett neu und pflückte im Garten ein paar Blumen, die ich ins Wohnzimmer stellte. Und dann, als ich mit allem fertig war, warf ich einen Blick auf den Tisch, auf dem die Unterlagen für die Reise lagen.
Ich würde mich am nächsten Tag durch den Papierkram arbeiten und alle Flüge, alle Ausflüge stornieren, die ich gebucht hatte. Es war nicht abzusehen, wann es Will gut genug gehen würde, um irgendetwas davon zu machen. Der Arzt hatte betont, wie wichtig es war, dass sich Will ausruhte, die Behandlung mit den Antibiotika ordentlich zu Ende führte und es warm und trocken hatte. Wildwasser-Rafting und Tiefseetauchen gehörten nicht zu seinem Erholungsprogramm.
Ich starrte meine Hefter an, all die Mühe und Arbeit und die vielen Überlegungen, die ich aufgewendet hatte, um sie zusammenzustellen. Ich starrte den Pass an, für den ich Schlange gestanden hatte, dachte an meine wachsende Aufregung, schon als ich nur im Zug nach London gesessen hatte, und zum ersten Mal, seit ich den Reiseplan in Angriff genommen hatte, verlor ich wirklich allen Mut. Wir hatten nur noch drei Wochen, und ich hatte versagt. Mein Vertrag würde enden, und ich hatte nichts getan, um Wills Einstellung spürbar zu verändern. Ich fürchtete mich davor, Mrs. Traynor zu fragen, wie wir jetzt weitermachen sollten. Ich fühlte mich auf einmal schrecklich überfordert. Ich saß in dem stillen Anbau am Küchentisch und vergrub das Gesicht in den Händen.
«’n Abend.»
Ich fuhr hoch. Nathan stand vor mir, füllte die Küche mit seinem kräftigen Körper. Er hatte seinen Rucksack über der Schulter.
«Ich wollte nur ein paar Medikamente bringen, damit sie schon da sind, wenn er zurückkommt. Alles … okay?»
Ich wischte mir eilig über die Augen. «Klar. Sorry. Ich bin … einfach ein bisschen down, weil ich das jetzt alles wieder stornieren muss.»
Nathan schwang seinen Rucksack von der Schulter und setzte sich mir gegenüber. «Das ist echt ein Scheiß.» Er nahm den Hefter und begann ihn durchzublättern. «Soll ich Ihnen morgen dabei helfen? Sie brauchen mich im Krankenhaus nicht, also könnte ich vormittags für eine Stunde vorbeikommen. Beim Telefonieren helfen.»
«Das ist nett. Aber danke. Ich komme schon klar. Vermutlich ist es sogar einfacher, wenn ich es alleine mache.»
Nathan kochte Tee, und wir tranken ihn am Tisch. Ich glaube, es war das erste Mal, dass Nathan und ich uns richtig unterhielten – zumindest ohne Will dabei. Er erzählte mir von einem früheren Patienten, einem C3/C4-Tetraplegiker mit einem Beatmungsgerät, der in der gesamten Zeit, in der Nathan für ihn arbeitete, mindestens einmal monatlich krank wurde. Er erzählte mir von Wills früheren Lungenentzündungen. An der ersten wäre er beinahe gestorben und hatte Wochen gebraucht, um sich wieder zu erholen.
«Er bekommt dann diesen Blick …», sagte er. «Wenn er richtig krank ist. Kann einem ziemlich Angst machen. Als ob er sich einfach … zurückzieht. Als ob er gar nicht da wäre.»
«Ich weiß. Ich hasse diesen Blick.»
«Er ist ein …», fing er an. Und dann ließ er auf einmal seinen Blick von mir wegwandern und klappte den Mund wieder zu.
So saßen wir, die Hände um die Teebecher gelegt, am Tisch. Aus dem Augenwinkel musterte ich Nathan. Sein freundliches, offenes Gesicht, das sich mit einem Mal verschlossen hatte. Und mir wurde klar, dass ich die Antwort auf die Frage, die ich ihm gleich stellen würde, schon kannte.
«Sie wissen es, oder?»
«Was?»
«Was … was er tun will.»
Das Schweigen im Raum war wie elektrisch aufgeladen.
Nathan betrachtete mich genau, als müsste er seine Antwort genau abwägen.
«Ich weiß es auch», sagte ich. «Ich soll es offiziell nicht wissen, aber ich weiß es. Darum ist es … darum ist es bei dieser Reise gegangen. Darum ist es bei all den Ausflügen gegangen. Damit habe ich versucht, ihn umzustimmen.»
Nathan stellte seinen Becher ab. «Ich habe mich schon gefragt», sagte er. «Sie haben gewirkt, als hätten Sie eine Mission zu erfüllen.»
«Hatte ich auch. Habe ich auch.»
Er schüttelte den Kopf. Ich wusste nicht, ob er mir damit sagen wollte, dass ich nicht aufgeben sollte oder dass ohnehin nichts
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