Ein ganzes halbes Jahr
herum.
Manchmal, wenn Nadil in der Nähe und im Resort nichts los war, trugen Nathan und er Will in das warme Wasser des kleineren Pools. Nathan hielt Will unter dem Kopf fest, sodass er auf dem Wasser treiben konnte. Will sagte dabei nicht viel, aber es schien ihn eine stille Zufriedenheit zu erfüllen, als würde sich sein Körper an lange vergessene Empfindungen erinnern. Sein langer, bleicher Oberkörper wurde goldbraun. Seine Narben bekamen einen silbernen Schimmer und verblassten. Er fühlte sich wohl dabei, ohne Hemd in der Sonne zu sitzen.
Zur Mittagszeit gingen wir in eines der drei Restaurants, die das Resort zu bieten hatte. Überall auf dem Gelände gab es geflieste Wege mit nur wenigen Stufen und Schrägen, sodass sich Will mit seinem Rollstuhl allein fortbewegen konnte. Es war vielleicht nur eine Kleinigkeit, aber dass er sich etwas zu trinken besorgen konnte, ohne dass einer von uns ihn begleiten musste, bedeutete weniger eine Erholung für Nathan und mich als für Will eine kurze Auszeit von der dauernden Frustration, vollständig von anderen Menschen abhängig zu sein. Nicht dass einer von uns viel zu tun gehabt hätte. Es war, als tauchte überall, ganz gleich, wo man sich aufhielt, am Pool oder im Wellnessbereich, ein lächelnder Hotelangestellter auf, um einem ein üblicherweise mit einer duftenden rosa Blüte geschmücktes Getränk zu reichen, das man jetzt möglicherweise gerne hätte. Selbst wenn man am Strand lag, kam ein kleiner Wagen vorbei, und ein lächelnder Kellner bot Wasser, Obstsaft oder etwas Stärkeres an.
Nachmittags, wenn es am wärmsten war, kehrte Will in sein Zimmer zurück und schlief ein paar Stunden. Ich schwamm im Pool oder las, und abends trafen wir uns wieder zum Essen in dem Restaurant an der Strandseite. Ich hatte meine Vorliebe für Cocktails schnell entdeckt. Nadil fand heraus, dass er zur Erfüllung von Wills Getränkewünschen weder mich noch Nathan brauchte, wenn er einen geeigneten Strohhalm heraussuchte und das Getränk in einem hohen Glas in die Halterung stellte. Wenn es dunkel wurde, unterhielten wir uns zu dritt über unsere Kindheit, unsere ersten Freunde und Freundinnen, unsere ersten Jobs, unsere Familien und andere Urlaube, die wir schon gemacht hatten. Und langsam sah ich Will wieder auftauchen.
Nur dass dieser Will anders war. Dieser Ort schien ihm einen Frieden zu schenken, der ihm die gesamte Zeit gefehlt hatte, in der ich ihn kannte.
«Es geht ihm richtig gut, was?», sagte Nathan, als wir uns am Buffet trafen.
«Ja, kommt mir auch so vor.»
«Wissen Sie was …», Nathan beugte sich zögernd zu mir herunter, weil er fürchtete, Will könnte sehen, dass wir über ihn redeten, «… ich glaube, diese Ranch und all die Actionsachen wären toll gewesen. Aber wenn ich ihn jetzt so anschaue, glaube ich, dass ihm das hier viel mehr bringt.»
Ich sagte ihm nicht, was ich am ersten Tag entschieden hatte, als wir uns an der Rezeption anmeldeten – als sich vor lauter Sorgen mein Magen verkrampfte und ich schon ausrechnete, wie viele Tage genau übrig waren, bis wir wieder wegfuhren. Ich hatte mir fest vorgenommen, an keinem dieser zehn Tage daran zu denken, warum wir eigentlich hier waren – den Sechsmonatsvertrag, meinen sorgfältig beschrifteten Kalender, alles, was davor gewesen war. Ich musste einfach den Augenblick leben und versuchen, auch Will dazu zu bringen. Ich musste glücklich sein, in der Hoffnung, dass Will es auch war.
Ich nahm mir noch einen Melonenschnitz und lächelte. «Und, was machen wir nachher? Gehen wir zum Karaoke? Oder haben sich Ihre Ohren noch nicht von gestern Abend erholt?»
Am vierten Abend verkündete Nathan ohne große Verlegenheit, dass er eine Verabredung hatte. Karen war ebenfalls Neuseeländerin, wohnte im Nachbarhotel, und er hatte sich mit ihr zu einem Stadtbummel verabredet.
«Nur zur Sicherheit, verstehen Sie?», sagte er zu Will. «Ich weiß nicht, ob sie dort allein herumlaufen kann. Vielleicht ist das zu gefährlich.»
«Ja, verstehe», sagte Will und nickte weise mit dem Kopf. «Das ist sehr ritterlich von Ihnen, Nathan.»
«Ich finde das auch sehr verantwortungsbewusst. Sehr umsichtig», stimmte ich zu.
«Ich habe Nathan schon immer für seine Selbstlosigkeit bewundert. Besonders, wenn es um das schönere Geschlecht geht.»
«Sie können mir alle beide gestohlen bleiben», sagte Nathan grinsend und verschwand.
Karen wurde schnell zur festen Größe. Nathan ging an den meisten Abenden mit ihr
Weitere Kostenlose Bücher