Ein ganzes halbes Jahr
verschwanden. Seine Krämpfe ließen nach, und er begann wieder zu essen, rollte langsam an dem endlosen, extravaganten Buffet entlang und sagte mir, was er haben wollte. Ich wusste, dass er sich mehr wie sein eigenes Selbst fühlte, wenn er mich dazu drängte, Sachen zu probieren, die ich sonst niemals gegessen hätte – scharfe, kreolische Currys und Meeresfrüchte, deren Namen ich nicht kannte. Schnell schien er sich an diesem Ort viel mehr zu Hause zu fühlen als ich. Und das war auch kein Wunder. Ich dachte daran, dass dies für die meiste Zeit seines Lebens Wills Domäne gewesen war – dieser Globus, diese langen Strände –, nicht der kleine Anbau im Schatten der Burg.
Das Hotel hatte wie versprochen einen Rollstuhl mit extrabreiten Reifen zur Verfügung gestellt, und an den meisten Vormittagen hob Nathan Will hinein, und wir gingen zu dritt an den Strand. Für den Fall, dass die Sonne zu stark herunterbrannte, hatte ich einen Sonnenschirm dabei, um ihn über Will aufzuspannen. Aber so war es nie. Dieser südliche Teil der Insel war für seine Seebrisen bekannt, und außerhalb der Saison stiegen die Temperaturen selten über fünfundzwanzig Grad. Wir hielten an einem kleinen Strand in der Nähe einer Felsnase, gerade eben außer Sicht des Hotelgebäudes. Ich stellte meinen Klappstuhl auf, und von unserem Platz am Strand aus sahen wir Nathan zu, der sich im Windsurfen oder Wasserski versuchte – begleitet von unseren ermutigenden oder spöttischen Rufen.
Zuerst wollten die Hotelangestellten beinahe zu viel für Will tun, sie boten an, seinen Stuhl zu schieben, und drängten ihm ständig kühle Getränke auf. Wir erklärten ihnen, dass wir so viel Aufmerksamkeit nicht brauchten, und sie zogen sich freundlich zurück. Es war trotzdem ein gutes Gefühl, wenn ich gerade nicht bei ihm war, Hotelpagen oder Leute von der Rezeption bei ihm stehen bleiben zu sehen, die ein bisschen mit ihm plauderten oder ihm Ausflugstipps gaben. Ein schlaksiger junger Mann, Nadil, schien sich als Wills inoffizieller Pfleger zu betrachten, wenn Nathan nicht in der Nähe war. Eines Tages entdeckte ich ihn und einen Freund, wie sie Will aus seinem Stuhl auf eine gepolsterte Sonnenliege hoben, die sie unter «unserer» Palme aufgestellt hatten.
«Das ist besser», sagte er und hob den Daumen, als ich über den Strand auf ihn zukam. «Rufen Sie einfach, wenn Mr. Will wieder in seinen Stuhl möchte.»
Ich wollte anfangen zu schimpfen und ihnen sagen, sie hätten ihn nicht bewegen dürfen, aber Will hatte die Augen geschlossen und lag so zufrieden da, dass ich den Mund wieder zuklappte und nickte.
Als meine Sorgen um Wills Gesundheit langsam verebbt waren, begann ich zu ahnen, dass ich im Paradies gelandet war. Ich hatte mir nie im Leben vorgestellt, an einen Ort wie diesen zu kommen. Jeden Morgen wachte ich zu dem Geräusch der Wellen auf, die sanft auf den Strand liefen, unbekannte Vögel sangen in den Bäumen. Ich ließ meinen Blick über die Zimmerdecke wandern, auf der Schatten und Licht spielten, weil vor dem Fenster die Sonnenstrahlen durchs Blattwerk fielen, und aus dem Nebenzimmer drang gedämpfte Unterhaltung zu mir, die mir verriet, dass Will und Nathan schon lange vor mir aufgewacht waren. Ich zog Sarongs und Schwimmsachen an und genoss das Gefühl der wärmenden Sonne auf Schultern und Rücken. Ich bekam Sommersprossen, meine Nägel bleichten aus, und ich empfand ein großes Glücksgefühl bei den kleinsten Dingen – dabei, am Strand spazieren zu gehen, unbekanntes Essen zu probieren, von scheuen schwarzen Fischen unter Vulkanfelsen heraus beobachtet in dem warmen, klaren Wasser zu schwimmen oder die Sonne feuerrot hinter dem Horizont versinken zu sehen. Langsam fiel die Anspannung der letzten Monate von mir ab. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich kaum je an Patrick dachte.
Unser Tagesablauf spielte sich ein. Wir frühstückten zu dritt an einem der Tische, die um den Pool im Schatten standen. Will nahm gewöhnlich Obstsalat, den ich ihm mit der Hand fütterte, manchmal gefolgt von einem Bananenpfannkuchen, wenn er mehr Appetit hatte. Anschließend gingen wir an den Strand, wo ich las und Will Musik hörte, während Nathan Wassersport machte. Will sagte ständig, ich solle auch etwas versuchen, aber ich lehnte ab. Ich wollte einfach nur in seiner Nähe sein. Als Will beharrlich blieb, machte ich einen Vormittag Windsurfing und paddelte in einem Kajak, aber am liebsten hing ich einfach nur neben ihm
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