Ein ganzes halbes Jahr
der die Ärzte einverstanden sind, würden Sie dann immer noch mitkommen? Würden Sie mir immer noch helfen?»
«Klar würde ich.» Er stand auf, spülte seinen Becher und schwang sich den Rucksack über die Schulter. «Aber ehrlich gesagt, Lou, ich glaube, das schaffen nicht mal Sie.»
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Kapitel 23
G enau zehn Tage später setzte uns Wills Vater am Flughafen Gatwick ab. Nathan hievte unsere Sachen auf eine Gepäckkarre, und ich fragte Will so oft, ob er es bequem hatte, bis es ihm schließlich zu viel wurde.
«Passt auf euch auf. Und gute Reise», sagte Mr. Traynor und legte Will die Hand auf die Schulter. «Mach nicht zu viel Unfug», fügte er hinzu und zwinkerte mir dabei doch tatsächlich zu.
Mrs. Traynor hatte sich nicht freinehmen können, um uns zum Flughafen zu begleiten. Ich vermutete jedoch eher, dass sie nicht zwei Stunden mit ihrem Mann im Auto sitzen wollte.
Will nickte, sagte aber nichts. Er war auf der Fahrt sehr schweigsam gewesen, hatte mit seinem undurchdringlichen Blick aus dem Fenster gesehen und Nathan und mich nicht beachtet, als wir über den Verkehr redeten und die Dinge, von denen wir jetzt schon wussten, dass wir sie vergessen hatten.
Noch als wir durch das Flughafengebäude gingen, wusste ich nicht, ob wir das Richtige taten. Mrs. Traynor war vollkommen dagegen, dass Will wegfuhr. Aber ab dem Tag, an dem er meinem neuen Plan zugestimmt hatte, schien ihr der Mut zu fehlen, ihm davon abzuraten. Sie schien in der ganzen letzten Woche vor der Reise zu ängstlich, um überhaupt mit uns zu sprechen. Sie saß schweigend bei Will und redete nur mit den Ärzten. Oder sie stürzte sich in ihren Garten und beschnitt die Pflanzen mit erschreckender Effizienz.
«Jemand von der Fluggesellschaft sollte sich mit uns treffen. Sie sollten hierherkommen und sich mit uns treffen», sagte ich auf dem Weg zum Check-in-Schalter, während ich durch meine Papiere blätterte.
«Immer mit der Ruhe. Sie werden wohl kaum jemanden vorn an der Tür postieren», sagte Nathan.
«Aber der Stuhl muss als ‹empfindliches medizintechnisches Gerät› transportiert werden. Das habe ich mit einer Frau am Telefon dreimal besprochen. Und wir müssen dafür sorgen, dass sie uns keine Probleme wegen all der Medikamente machen, die Will mit an Bord nimmt.»
Die Online-Rollstuhlfahrer-Gemeinde hatte mich mit Unmengen von Informationen versorgt, mit Warnungen, Rechtsbestimmungen und Checklisten. Daraufhin hatte ich mich bei der Fluggesellschaft mehrfach abgesichert, dass wir auch wirklich die Sitze ganz vorn bekommen würden, dass Will als Erster an Bord gehen durfte und dass er seinen eigenen Stuhl bis zum Gate behalten konnte. Dann würde Nathan den Joystick ausbauen und den Stuhl auf Handsteuerung umstellen, ihn sorgfältig verpacken und die Fußpedale feststellen. Anschließend würde er persönlich die Verladung überwachen, um Beschädigungen zu vermeiden. Der Stuhl würde einen rosa Anhänger bekommen, damit ihn die Leute von der Gepäckbeförderung mit besonderer Vorsicht behandelten. Wir hatten drei Sitze nebeneinander reserviert, sodass sich Nathan unauffällig um sämtliche eventuellen Probleme würde kümmern können. Die Frau von der Fluggesellschaft hatte mir versichert, dass die Armstützen hochgeklappt werden konnten, sodass sie Wills Hüften nicht im Weg waren, wenn er von dem Transportrollstuhl auf den Sitz gehoben wurde. Wir würden ihn die ganze Zeit zwischen uns haben. Und wir wären die Ersten, die aus dem Flugzeug aussteigen durften.
All das stand auf meiner ‹Flughafen-Checkliste›. Das war das Blatt vor meiner ‹Hotel-Checkliste›, aber hinter dem Blatt mit meiner ‹Tag-bevor-wir-fahren-Checkliste› und dem Reiseplan. Trotz all dieser Absicherungen war mir richtig schlecht.
Jedes Mal, wenn ich Will ansah, fragte ich mich, ob ich das Richtige tat. Erst am Abend zuvor hatte Wills Arzt grünes Licht für die Reise gegeben. Er aß wenig und verbrachte die Tage meistens schlafend. Er schien nicht nur ermattet von seiner Erkrankung, sondern ausgelaugt vom Leben und ermüdet von unseren Einmischungen, unseren Versuchen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, unseren niemals endenden Bemühungen, ihm alles möglichst angenehm zu machen. Er tolerierte mich, aber ich hatte das Gefühl, dass er oft einfach allein gelassen werden wollte. Und das war das Einzige, was ich nicht für ihn tun konnte, aber das wusste er nicht.
«Da ist die Frau von der Fluggesellschaft», sagte ich,
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