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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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zu ändern war.
    «Was sollen wir jetzt machen, Nathan?»
    Er dachte eine Weile nach, bevor er wieder etwas sagte. «Wissen Sie was, Lou? Ich mag Will wirklich. Es macht mir nichts aus, es Ihnen zu sagen: Ich liebe den Kerl. Ich bin jetzt zwei Jahre bei ihm. Ich habe ihn in seinen schlimmsten Momenten erlebt und an seinen guten Tagen, und alles, was ich sagen kann, ist, dass ich für kein Geld der Welt mit ihm tauschen würde.»
    Er trank einen Schluck Tee. «Es hat Zeiten gegeben, in denen ich hier übernachtet habe, und er ist schreiend aufgewacht, weil er in seinen Träumen immer noch laufen und Ski fahren und alles mögliche andere konnte, und in diesen paar Minuten, wenn seine Abwehr unten ist und er die Träume noch frisch im Gedächtnis hat, dann kann er den Gedanken buchstäblich nicht ertragen, all das nie mehr tun zu können. Er kann es nicht ertragen. Ich habe dort bei ihm gesessen, und es gab nichts, was ich ihm hätte sagen können, nichts, was es irgendwie besser gemacht hätte. Er hat das beschissenste Blatt ausgeteilt bekommen, das man sich vorstellen kann. Und wissen Sie was? Als ich ihn gestern Abend gesehen und über sein Leben nachgedacht habe und darüber, wie es weitergehen wird … und obwohl es nichts gibt, was ich mir auf der Welt mehr wünschen würde, als dass dieser Typ glücklich wird, kann ich … ich kann ihn nicht für das verurteilen, was er vorhat. Es ist seine Entscheidung. Es sollte seine Entscheidung sein.»
    Mir blieb fast die Luft weg. «Aber … aber das war früher. Alle haben gesagt, so war es, bevor ich da war. Er hat sich verändert. Er hat sich mit mir verändert, das stimmt doch, oder?»
    «Ja, aber …»
    «Aber wenn nicht einmal wir daran glauben, dass er sich besser fühlen kann, dass es ihm sogar wirklich besser gehen kann, wie soll er dann selbst daran glauben?»
    Nathan stellte seinen Becher wieder ab. Er sah mir direkt in die Augen.
    «Lou. Es wird ihm nie wieder besser gehen.»
    «Das wissen Sie nicht.»
    «Doch, das weiß ich. Falls es keinen enormen Durchbruch in der Stammzellenforschung gibt, hat Will noch ein Jahrzehnt im Rollstuhl vor sich. Mindestens. Er weiß das, auch wenn es seine Familie nicht zugibt. Und das ist nur die eine Hälfte des Problems. Mrs. T. will ihn um jeden Preis am Leben halten. Mr. T. findet, es gibt einen Punkt, an dem wir ihn selbst entscheiden lassen müssen.»
    «Natürlich ist es seine Entscheidung, Nathan. Aber er muss wissen, was er für Möglichkeiten hat.»
    «Will ist ein intelligenter Typ. Er weiß ganz genau, was er für Möglichkeiten hat.»
    Meine Stimme erhob sich in dem kleinen Raum. «Nein. Das stimmt nicht. Wollen Sie mir wirklich sagen, er wäre noch in derselben Verfassung wie früher, bevor ich gekommen bin? Wollen Sie mir wirklich sagen, er hätte seine Einstellung kein bisschen verändert, seitdem ich hier bin?»
    «Ich kann seine Gedanken nicht lesen, Lou.»
    «Aber Sie wissen, dass ich seinen Standpunkt verändert habe.»
    «Nein, Lou, ich weiß nur, dass er so ziemlich alles tun würde, um Sie glücklich zu machen.»
    Ich starrte ihn an. «Sie glauben, er tut nur so als ob, um mich glücklich zu machen?» Ich war unheimlich wütend auf Nathan, wütend auf sie alle. «Und wenn Sie nicht glauben, dass das alles irgendetwas Gutes bewirken könnte, warum wollten Sie dann überhaupt mitkommen? Warum wollten Sie die Reise mitmachen? Für Sie war das einfach nur ein netter Urlaub, was?»
    «Nein. Ich möchte, dass er weiterlebt.»
    «Aber …»
    «Aber ich möchte, dass er weiterlebt, wenn er es selbst will. Und wenn er das nicht will, wir ihn aber zum Weitermachen zwingen – dann sind Sie und ich, ganz egal, wie sehr wir ihn lieben, nur ein paar beschissene Leute mehr, die ihm seine Entscheidungsfreiheit verweigern.»
    Nathans Worte hallten in der Stille nach. Ich wischte eine einzelne Träne von der Wange und versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen. Nathan, dem es offenbar peinlich war, dass ich weinte, kratzte sich abwesend am Hals, und dann, nach einer Minute, gab er mir ein Stück Küchenrolle.
    «Das kann ich einfach nicht zulassen, Nathan.»
    Er schwieg.
    «Ich kann es nicht.»
    Ich starrte meinen Pass auf dem Küchentisch an. Das Bild war furchtbar. Es sah aus, als wäre eine ganz andere Person darauf. Eine Person, deren Leben, deren ganze Art mit meiner überhaupt nichts zu tun hatte. Das brachte mich ins Grübeln.
    «Nathan?»
    «Ja?»
    «Wenn ich eine andere Reise organisieren könnte, eine, mit

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