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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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wirkte entspannt und glücklich, und um seine Augen vertieften sich die Lachfältchen, als er mich ansah. Ich erwiderte seinen Blick zum ersten Mal, ohne dass eine gewisse Furcht an mir nagte.
    «Du bist froh, dass du hierhergekommen bist, oder?», sagte ich zögernd.
    Er nickte. «Allerdings.»
    «Hah!» Ich reckte meine Faust in die Luft.
    Und dann, als jemand die Musik an der Bar lauter drehte, schleuderte ich meine Schuhe weg und begann zu tanzen. Es klingt dumm – bei jeder anderen Gelegenheit wäre es mir peinlich gewesen. Aber dort, in der tintenblauen Dunkelheit, halb betrunken vor Schlafmangel, mit dem Lagerfeuer und dem endlosen Meer und dem unendlichen Firmament, mit der Musik in den Ohren und dem lächelnden Will, platzte mein Herz beinahe vor etwas, das ich nicht genau beschreiben konnte, und ich musste einfach tanzen. Ich tanzte, lachte unbeschwert, und es war mir egal, ob uns jemand sah. Ich spürte Wills Blick auf mir, und ich wusste, dass er es auch wusste: Dies war die einzig mögliche Reaktion auf die letzten zehn Tage. Verdammt, auf die letzten sechs Monate.
    Das Lied endete, und ich ließ mich atemlos neben ihn in den Sand fallen.
    «Du …», sagte er.
    «Was?» Ich lächelte ihn an. Ich fühlte mich schwerelos, wie elektrisiert. Ich wusste kaum noch, was ich tat.
    Er schüttelte den Kopf.
    Ich stand langsam auf, ging dicht an seinen Stuhl, und dann glitt ich auf seinen Schoß, sodass mein Gesicht nur noch ein paar Zentimeter von seinem entfernt war. Nach dem Abend zuvor erschien mir das als gar keine so große Besonderheit mehr.
    «Du …» Der Blick seiner blauen Augen, die im Schein des Lagerfeuers glitzerten, versenkte sich in meinen. Er roch nach Sonne und Feuerrauch und nach etwas Scharfem, Zitronigem.
    Ich spürte etwas tief in mir schmelzen.
    «Du … bist etwas ganz Besonderes, Clark.»
    Ich tat das Einzige, was mir in den Sinn kam. Ich beugte mich vor und legte meine Lippen auf seine. Er zögerte, nur einen Augenblick lang, und dann küsste er mich. Und für einen Moment vergaß ich alles – die tausend Gründe, aus denen ich das nicht tun sollte, meine Ängste, der Grund, aus dem wir hier waren. Ich küsste ihn, atmete den Geruch seiner Haut ein, spürte sein weiches Haar unter meinen Fingerspitzen, und als er meinen Kuss erwiderte, verschwand alles andere, und es gab nur noch Will und mich, auf einer Insel mitten im Nirgendwo, unter Myriaden funkelnder Sterne.
    Und dann zog er sich zurück. «Ich … es tut mir leid. Nein, ich …»
    Ich öffnete die Augen. Ich hob eine Hand zu seinem Gesicht und folgte der Form seiner wunderschönen Wangenknochen. Ich spürte ganz schwach die Rauheit winziger Salzkristalle auf seiner Haut. «Will …», begann ich. «Du kannst das tun. Du …»
    «Nein.» Ein Hauch Schärfe lag in diesem Wort. «Ich kann nicht.»
    «Das verstehe ich nicht.»
    «Ich will damit nicht anfangen.»
    «Mmm … ich glaube, du hast schon damit angefangen.»
    «Ich kann das nicht tun, weil ich nicht …» Er schluckte. «Ich kann nicht der Mann sein, der ich mit dir sein will. Und das heißt, dass das hier …», er sah mir ins Gesicht, «… das hier nur zu einer weiteren Erinnerung an das wird, was ich nicht mehr bin.»
    Ich löste die Hand nicht von seinem Gesicht. Ich lehnte meine Stirn an seine, sodass sich unser Atem vermischte, und ich sagte ganz leise: «Es ist mir egal, was du … was du denkst, dass du nicht kannst. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Wirklich … ich habe mit anderen Leuten in der gleichen Situation gesprochen, und … und es gibt Möglichkeiten. Es gibt Wege, wie wir beide glücklich sein können …» Ich hatte angefangen zu stottern. Ich war verlegen bei diesem Gespräch. Dann sah ich ihm in die Augen. «Will Traynor», sagte ich sanft, «ich sage dir, was wir tun können …»
    «Nein, Clark …», setzte er an.
    «Ich glaube, wir können alles Mögliche tun. Ich weiß, dass das keine von den üblichen Liebesgeschichten ist. Ich weiß, dass es unheimlich viele Gründe gibt, aus denen ich nicht einmal sagen sollte, was ich sage. Aber ich liebe dich. Wirklich. Ich wusste es, als ich Patrick verlassen habe. Und ich glaube, dass du mich auch ein bisschen liebst.»
    Er schwieg. Sein Blick suchte meinen, und in seinen Augen stand diese unglaubliche Traurigkeit. Ich strich ihm das Haar von den Schläfen zurück, als könnte ich damit sein Leid wegwischen, er neigte den Kopf und bettete seine Wange in meine Hand.
    Er schluckte.

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