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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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die sanft bewegte türkise Masse, die nur hundert Meter vor uns lag.
    Die Welt um uns schrumpfte zusammen, bis nur noch die Geräusche des Sturms, das violette, blauschwarze Meer und die zarten Vorhänge übrig waren, die der Wind aufblähte. Ich roch den Lotusblütenduft im Abendwind, hörte in der Entfernung Gläser klirren und hastig zurückgeschobene Stühle, Musik von einem weit entfernten Fest, fühlte die Spannung der entfesselten Natur. Ich tastete nach Wills Hand und nahm sie in meine. Kurz dachte ich, dass ich mich nie mehr so intensiv mit der Welt und einem anderen menschlichen Wesen verbunden fühlen würde wie in diesem Moment.
    «Nicht schlecht, was, Clark?», sagte Will in das Schweigen. Im Angesicht des Sturms war sein Gesicht ruhig und entspannt. Er drehte mir kurz den Kopf zu und lächelte mich an, und da stand etwas in seinen Augen, etwas Triumphierendes.
    «Nein», sagte ich. «Gar nicht mal so schlecht.»
    Dann lag ich ruhig neben ihm, hörte zu, wie sein Atem langsamer und tiefer wurde, untermalt von den Geräuschen des Regens, und spürte seine warmen Finger zwischen meinen. Ich wollte nicht nach Hause fahren. Am liebsten wäre ich nie mehr nach Hause gefahren. Hier waren Will und ich in Sicherheit, eingeschlossen in unser kleines Paradies. Jedes Mal, wenn ich an die Rückreise nach England dachte, griff mir die Angst mit ihrer Klauenhand in den Magen und wollte nicht mehr loslassen.
    Alles wird gut. Ich versuchte, mich mit Nathans Worten zu beruhigen. Alles wird gut.
    Schließlich drehte ich mich auf die Seite, weg vom Meer, und schaute Will an. Er drehte den Kopf, um in dem dämmrigen Licht meinen Blick zu erwidern, und ich spürte, dass er mir dasselbe sagte: Alles wird gut . Zum ersten Mal in meinem Leben versuchte ich, nicht über die Zukunft nachzudenken. Ich versuchte einfach nur zu sein, die Empfindungen dieses Abends durch meinen Körper wandern zu lassen. Ich kann nicht sagen, wie lange wir so nebeneinanderlagen und uns ansahen, aber irgendwann wurden Wills Augenlider schwer, bis er entschuldigend murmelte, es könnte sein, dass er gleich … Seine Atemzüge wurden länger, er glitt in den Schlaf hinüber, und dann sah nur noch ich ihn an, betrachtete seine Wimpern, die sich an den Augenwinkeln zu kleinen Spitzen formten, und die Sommersprossen auf seiner Nase.
    Ich sagte mir, dass ich recht haben musste. Ich musste recht haben.
    Der Sturm hatte sich irgendwann nach ein Uhr morgens endlich ausgetobt, war hinaus aufs Meer gezogen, seine wütenden Blitze wurden schwächer und verschwanden schließlich ganz auf ihrem Weg zum nächsten unbekannten Ort, über dem sie ihre Wettertyrannei niedergehen lassen würden. Langsam beruhigte sich die Atmosphäre um uns, die Vorhänge hingen wieder still herunter, gurgelnd versickerte das letzte Wasser. Irgendwann gegen Morgen stand ich auf, nachdem ich meine und Wills Finger behutsam voneinander gelöst hatte, und schloss die Fenstertüren, sodass es im Zimmer ganz ruhig wurde. Will schlief – einen tiefen, friedlichen Schlaf, den er zu Hause kaum je hatte.
    Ich schlief nicht. Ich lag neben ihm, sah ihn an und versuchte, an nichts zu denken.

    Am letzten Tag passierten zwei Dinge. Erstens erklärte ich mich unter Wills Druck bereit, einen Tauchversuch zu machen. Er hatte mich schon seit Tagen bearbeitet, gesagt, ich könne unmöglich diese weite Reise machen, ohne die Unterwasserwelt kennenzulernen. Beim Windsurfen hatte ich mich als hoffnungsloser Fall erwiesen. Ich hatte es kaum geschafft, mein Segel aus dem Wasser zu ziehen, und beim Wasserski war ich die meiste Zeit mit dem Kopf durch die Bucht gepflügt. Aber er blieb hartnäckig, und am Vortag war er beim Mittagessen mit der Nachricht aufgetaucht, dass er für mich einen halbtägigen Anfänger-Tauchkurs gebucht hatte.
    Es fing überhaupt nicht gut an. Will und Nathan saßen am Pool, während mein Tauchlehrer mich davon zu überzeugen versuchte, dass ich unter Wasser weiteratmen konnte, aber mit den beiden als Zuschauern klappte bei mir überhaupt nichts. Ich bin nicht dumm – ich hatte verstanden, dass die Sauerstoffflaschen auf meinem Rücken meine Atmung weiterarbeiten ließen und ich nicht ertrinken würde –, aber jedes Mal, wenn ich untertauchte, bekam ich Panik und schoss wieder nach oben. Es war, als würde sich mein Körper weigern zu glauben, dass er unter mehreren tausend Kubiklitern von Mauritius’ edelstem Chlorwasser weiteratmen konnte.
    «Ich glaube, das hat keinen Zweck»,

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