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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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aus, und obwohl er für Wills abendliches Pflegeprogramm zurückkam, ließen wir ihm stillschweigend so viel Zeit wie möglich, um sich zu vergnügen.
    Und heimlich freute ich mich richtig darüber. Ich mochte Nathan, und ich war ihm dankbar, dass er mitgekommen war, aber ich war trotzdem lieber mit Will allein. Mir gefiel die Direktheit, die sich einstellte, wenn niemand anderes da war, die ungezwungene Vertrautheit, die zwischen uns entstanden war. Ich mochte die Art, auf die er seinen Kopf drehte und mich amüsiert anschaute, als hätte ich seine Erwartungen übertroffen.
    Am vorletzten Abend fragte ich Nathan, ob er Karen nicht mit in unser Resort bringen wollte. Er hatte mehrere Nächte in ihrem Hotel verbracht, und ich wusste, dass es umständlich für ihn war, wenn er zwanzig Minuten hin- und zwanzig Minuten zurücklaufen musste, um Will ins Bett zu bringen.
    «Mir macht es jedenfalls nichts aus. Wenn Sie dadurch … na ja … ein bisschen mehr Privatsphäre haben.»
    Er freute sich, träumte schon von dem schönen Abend, den er genießen würde, und hatte für mich nur noch ein «Danke, das ist echt super» übrig.
    «Nett von dir», sagte Will, als ich es ihm erzählte.
    «Nett von dir, meinst du», sagte ich. «Es ist dein Zimmer, das ich der Sache geopfert habe.»
    An diesem Abend gingen wir in mein Zimmer, und Nathan half Will ins Bett und gab ihm seine Medikamente, während Karen in der Bar wartete. Ich zog mich im Badezimmer um, kam dann im T-Shirt wieder heraus und ging mit meinem Kissen unterm Arm zum Sofa. Ich spürte Wills Blick auf mir und war auf einmal merkwürdig unsicher für jemanden, der beinahe die gesamte vergangene Woche in einem Bikini vor ihm herumgelaufen war. Ich schüttelte das Kissen auf und legte es auf die Sofalehne.
    «Clark?»
    «Was ist?»
    «Du musst wirklich nicht da drüben schlafen. Dieses Bett ist groß genug für eine ganze Fußballmannschaft.»
    Die Sache ist die – ich dachte eigentlich gar nicht weiter darüber nach. So war es eben inzwischen. Vielleicht hatten uns die Tage, die wir halb nackt am Strand verbracht hatten, alle ein bisschen lockerer werden lassen. Vielleicht war es das Bewusstsein, dass Nathan und Karen nebenan waren, sich umschlangen, einen Kokon bildeten, der die ganze übrige Welt ausschloss. Vielleicht wollte ich aber auch einfach nur ganz nahe bei ihm sein. Also ging ich zum Bett und zuckte auf einmal zusammen, weil es gedonnert hatte. Nebenan hörten wir Nathan und Karen lachen.
    Ich ging zum Fenster und zog die Vorhänge zurück, spürte den kühlen Wind, den schlagartigen Rückgang der Temperatur. Über dem Meer war Sturm aufgezogen. Dramatisch gezackte Blitze erhellten für Bruchteile von Sekunden den Himmel, und dann, wie ein nachträglicher Einfall, trommelte ein schwerer Wolkenbruch auf das Dach herab, so laut, dass er zunächst jedes andere Geräusch übertönte.
    «Ich schließe besser die Läden», sagte ich.
    «Nein, tu das nicht.»
    Ich drehte mich zu ihm um.
    «Mach die Türen auf.» Will nickte zu den Türen. «Ich will es sehen.»
    Ich zögerte, dann öffnete ich die Glastüren, die zur Veranda führten. Der Regen peitschte auf den Hotelkomplex herunter, triefte von unserem Dach, ließ Bäche von unserer Veranda Richtung Meer fließen. Ich spürte die Feuchtigkeit auf meinem Gesicht, die elektrische Spannung in der Luft. Die Härchen auf meinen Armen standen kerzengerade hoch.
    «Spürst du es?», fragte er hinter mir.
    «Es ist der reinste Weltuntergang.»
    Ich stand an der Tür, ließ die Spannung durch mich fließen, die weißen Blitze Abdrücke in meinem Sichtfeld hinterlassen. Es war atemberaubend.
    Ich drehte mich wieder um, ging zu Will hinüber und setzte mich auf die Bettkante. Er sah mich an, und ich beugte mich vor und zog seinen sonnengebräunten Hals sanft in meine Richtung. Ich wusste jetzt, wie ich ihn bewegen musste, wie ich sein Gewicht, seinen Körper dabei einsetzen konnte. Während ich ihn an mich drückte, beugte ich mich über ihn, legte ein dickes, weißes Kissen unter seine Schultern und ließ ihn dann zurücksinken. Er roch nach der Sonne, als wäre sie in seine Haut eingesickert, und ich atmete seinen Geruch tief ein, als wäre er ein köstliches Gericht.
    Dann, immer noch ein bisschen feucht, legte ich mich neben ihn, so dicht, dass ich mit den Beinen seine berührte, und gemeinsam schauten wir hinaus auf die blauweißen Strahlen der Blitze, die ins Meer einschlugen, auf die silbrigen Regenkaskaden, auf

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