Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
warum man anders als andere denkt und fühlt; und die freudige Erwartung, dass sich nun das Leben zum Besseren hin verändert. Ein junger Mann mit Asperger-Syndrom schrieb mir: »Ich weiß, ich habe das Asperger-Syndrom, weil nichts sonst auch nur annähernd meine verrückten Eigenarten so perfekt und einwandfrei beschreiben könnte, wie es das Asperger-Syndrom tut.«
Es kann auch Augenblicke der Wut darüber geben, dass die Diagnose so spät gestellt wurde und dass niemand die Anzeichen in all den Jahren entdeckt hat. Der Betroffene kann sich verzweifelt fühlen, wenn er sich vorstellt, wie viel einfacher sein Leben verlaufen wäre, wenn die Diagnose schon vor Jahrzehnten bestätigt worden wäre. Zu den anderen emotionalen Reaktionen kann ein Gefühl des Kummers wegen all des Leidens gehören, das man durchstehen musste, während man so sozial erfolgreich sein wollte wie all die anderen und wegen all der Jahre, in denen man sich falsch verstanden, fehl am Platz und zurückgewiesen gefühlt hat.
Es kann zu einem neuen Selbstwertgefühl und Optimismus führen, zumindest fühlt man sich nun nicht mehr dumm, minderwertig oder verrückt. So, wie Liane Holliday Willey freudig sagte, als sie von ihrer Diagnose erfuhr: »Deswegen bin ich also anders; ich bin kein Freak oder verrückt.« 41
Ein Netz von Gleichgesinnten spinnen
Es kann auch Vorteile im Hinblick auf das Selbstwertgefühl und die moralische Unterstützung geben, wenn man sich mit anderen Erwachsenen mit Asperger-Syndrom identifizieren kann, indem man das Internet und Selbsthilfegruppen nutzt. DieGruppentreffen können ursprünglich von einer Elterninitiative gegründet worden sein; manche Selbsthilfegruppen entstehen auch spontan in größeren Städten. [In Deutschland haben sich in Berlin mehrere Erwachsene zusammengetan und bald darauf sind auch Gruppen in Hamburg, Köln, Schwerin und anderen Städten entstanden (siehe Service).] Dadurch entsteht ein Netz von Gleichgesinnten, die einander ähnlich sind, gegenseitige Empathie und Unterstützung bieten und die gewissermaßen demselben »Stamm« angehören und gleiche Erfahrungen, Denkweisen und eine gleichartige Sicht auf die Welt miteinander teilen.
AUS DEM LEBEN
Die Diagnose stellt nur den ersten Schritt dar
Nita Jackson bietet da einen vernünftigen Rat für ihre Mitbetroffenen mit Asperger-Syndrom:
»Da Asperger-Betroffene besonders stur sein können, wenn man sie lässt, kann das Nicht-wahrhaben-Wollen ein großes Problem darstellen. Je weniger sie ihr Anderssein anerkennen, desto schwerer wird es ihnen fallen, ihre sozialen Fähigkeiten zu verbessern, und umso höher ist dann auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie ohne Freunde bleiben und/oder in die Opferrolle geraten. Man glaube nicht, dass mit der Anerkennung des Asperger-Syndroms alle Probleme gelöst seien (das ist nicht der Fall), aber zumindest bringt sie ein gewisses Maß an Selbsteinsicht mit sich, auf der man aufbauen kann. Sobald die Person dies für sich anerkennt, kann sie auch daran denken, die »gesellschaftlichen Spielregeln« zu lernen, vorausgesetzt, dass sie von Menschen beraten wird, die das Syndrom zumindest in seinen Grundzügen begreifen.« 42
Affirmationen zur Selbstbestätigung
Wenn ich mit Erwachsenen mit Asperger-Syndrom über die Diagnose spreche, beziehe ich mich oft auf die folgenden Affirmationen zur Selbstbestätigung für Menschen mit Asperger-Syndrom, die Liane Holliday Willey verfasst hat:
Ich bin nicht minderwertig. Ich bin anders.
Ich werde nicht mein Selbstwertgefühl dafür opfern, dass mich andere akzeptieren.
Ich bin ein guter und interessanter Mensch.
Ich werde stolz auf mich sein.
Ich bin in der Lage, mit der Gesellschaft zurechtzukommen.
Ich werde um Hilfe bitten, wenn ich sie brauche.
Ich bin ein Mensch, der den Respekt und die Akzeptanz anderer Menschen verdient.
Ich werde einen Beruf finden, der zu meinen Fähigkeiten und Interessen passt.
Ich werde geduldig mit denen sein, die Zeit brauchen, um mich zu verstehen.
Ich werde mich selbst niemals aufgeben.
Ich werde mich annehmen, so wie ich bin. 43
Ich betrachte den letzten Punkt, »Ich werde mich annehmen, so wie ich bin«, als ein wichtiges Ziel in einer Psychotherapie mit einem heranwachsenden oder erwachsenen Menschen mit Asperger-Syndrom.
Anfängliche Verleugnung
Eine, wenn auch seltene, Reaktion bei einigen Betroffenen ist die Leugnung, dass sie das Asperger-Syndrom haben; sie bestehen darauf, dass sie keine Probleme haben und auch nicht anders
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