Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
auf. Er wurde erstmals von Lorna Wing, einer anerkannten britischen Psychiaterin, die sich auf zum autistischen Spektrum gehörende Störungen spezialisiert hatte, verwendet. Denn ihr wurde nach und nach klar, dass die Beschreibungen von Leo Kanner, die in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien die Grundlage für unser Verständnis von Autismus und für dessen Diagnose bildeten, nicht genau die Kinder und Erwachsenen abdeckten, die sie in ihrer umfangreichen Erfahrung im klinischen und im Forschungsbereich erlebt hatte. In ihrer 1981 veröffentlichten Arbeit beschrieb sie 34 Fälle von Kindern und Erwachsenen mit Autismus im Alter von 5 bis 35 Jahren, deren Fähigkeitsprofile eher Ähnlichkeit mit den Beschreibungen von Asperger als mit denen von Kanner hatten. Diese konnten also nur unzureichend mit den damaligen Diagnosekriterien für Autismus beschrieben werden. Lorna Wing benutzte daraufhin als erste den Begriff »Asperger-Syndrom«, um eine neue diagnostische Kategorie innerhalb des autistischen Spektrums zu schaffen. 2
Ihre Fallbeispiele und Schlussfolgerungen waren sehr überzeugend und eine Gruppe von britischen und schwedischen Psychologen und Psychiatern begann damit, die Beschreibungen Hans Aspergers und das Fähigkeitsprofil beim Asperger-Syndrom genauer zu untersuchen.
Obwohl die Originalbeschreibungen Aspergers sehr detailliert waren, hatte er keine eindeutigen Diagnosekriterien angegeben.
Im Jahr 1989 wurden die ersten Diagnosekriterien veröffentlicht
In London fand im Jahre 1988 eine kleine internationale Konferenz zum Asperger-Syndrom statt. Eines der Ergebnisse der Diskussionen und Arbeiten war die Veröffentlichung der ersten Diagnosekriterien im Jahre 1989, die im Jahre 1991 überarbeitet wurden. 3 Obwohl in der Folge in den beiden wichtigsten Diagnosehandbüchern und durch den Kinderpsychiater Peter Szatmari und dessen kanadische Kollegen 4 weitere Kriterien veröffentlicht wurden, bleiben die Kriterien von Christopher Gillberg, der in Schweden und London tätig ist, diejenigen Kriterien, die den ursprünglichen Beschreibungen Hans Aspergers am nächsten sind.
Die Kriterien von Gillberg
Daher sind diese Kriterien auch für mich und für viele andere erfahrene Ärzte die erste Wahl. Die Kriterien von Christopher Gillberg sind in der folgenden Tabelle aufgeführt. In der klinischen Praxis wird eine Diagnose Asperger-Syndrom dann gestellt, wenn neben der sozialen Beeinträchtigung mindestens vier der fünf anderen Kriterien gegeben sind. 5
Die »Asperger-Störung« erscheint in den Diagnosehandbüchern
Im Jahre 1993 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die zehnte Ausgabe der internationalen Klassifikation von Krankheiten (International Classification of Diseases, ICD-10); und im Jahre 1994 veröffentlichte die amerikanische Gesellschaft für Psychiatrie (American Psychiatric Association) die vierte Ausgabe ihres Diagnosehandbuchs (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM-IV). Zum ersten Mal enthielten diese beiden Werke das Asperger-Syndrom – oder, um genau zu sein, die »Asperger-Störung« – als eine von mehreren tief greifenden Entwicklungsstörungen. Beide Kriterien sind sich erstaunlich ähnlich. In beiden Diagnosehandbüchern wird anerkannt, dass der Autismus – oder die tief greifende Entwicklungsstörung – eine heterogene Störung ist und dass es offenbar eine Reihe von Subtypen gibt, zu denen das Asperger-Syndrom gehört.
Der Name hätte auch Sutscharewa-Syndrom lauten können
Wenn ein neues Syndrom bestätigt wird, wird die internationale Fachliteratur danach durchsucht, ob ein anderer Autor dasselbe Fähigkeitsprofil bereits beschrieben hat. Wir wissen, dass es wohl Dr. Ewa Sutscharewa, eine russische wissenschaftliche Assistentin im Bereich Neurologie, war, die als erste eine Beschreibung von Kindern veröffentlicht hat, die wir heute als vom Asperger-Syndrom betroffen kennzeichnen würden. 6 Sutscharewas Beschreibung wurde bekannt als schizoide Persönlichkeitsstörung (SPS). Sula Wolff 7 hat unser Wissen über die schizoide Persönlichkeitsstörung einer Überprüfung unterzogen und erklärt, dass die SPS den Merkmalen des Asperger-Syndroms starkähnele. Ich bin jedoch erleichtert, dass das Syndrom heute den Namen Aspergers trägt und nicht den Namen Sutscharewa-Syndrom, was wesentlich schwerer auszusprechen wäre.
Diagnosekriterien für das Asperger-Syndrom nach Gillberg 8
soziale Beeinträchtigung (extreme
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