Ein Garten im Winter
ich mir schon.«
Zwei
Sie mussten sich zwei Wochen durch den Dschungel schlagen, bis sie den Kadaver fanden.
Die Fliegen hatten sie vorgewarnt, und Verwesungsgeruch.
Nina stand neben dem Führer, der sie hergebracht hatte. Einen schrecklichen Augenblick lang drang alles auf sie ein: die surrenden Fliegen auf der Lichtung, der blutige Kadaver, der wegen der Maden an manchen Stellen vollkommen weiß war, die drückende Stille des afrikanischen Dschungels, die ihr sagte, dass Raubtiere und Aasfresser ganz in der Nähe waren und sie beobachteten.
Dann übernahm die Fotografin in ihr das Kommando und fragmentierte die Szene.
Sie holte ihren Belichtungsmesser hervor und überprüfte die Lichtverhältnisse. Danach entschied sie sich für einen der drei Fotoapparate, die an ihrem Hals baumelten, und richtete den Fokus auf den verstümmelten, blutigen Körper des Berggorillas.
Klick.
Sie umrundete ihn, fokussierte immer wieder neu und schoss Foto um Foto. Wechselte die Kamera, stellte die Linsen ein, überprüfte das Licht. Adrenalin durchströmte sie. Nur jetzt, nur wenn sie Fotos schoss, fühlte sie sich wirklich lebendig.
Das war ihr großes Talent: ihr Auge für Bilder und die Fähigkeit, ihre Umgebung auszublenden. Das eine war ohne das andere nicht denkbar. Wenn man ein großer Fotograf sein wollte, musste man zuerst sehen und danach fühlen.
Sie hielt kurz inne, um sich noch etwas Eukalyptuscreme unter die Nase zu schmieren, und hockte sich dann näher an den Kadaver, um den Halsstumpf ins Visier zu nehmen. Von irgendwoher hörte sie Würggeräusche; wahrscheinlich von dem jungen Journalisten, der Nina begleitete. Darüber konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen.
Klick. Klick.
Die Wilderer interessierten sich nur für den Kopf, die Hände und die Füße. Für das, was Geld brachte. Irgendwo auf der Welt gab es reiche Arschlöcher, die in ihrer Bibliothek eine Gorillahand als Aschenbecher benutzten.
Klick. Klick.
Die nächste Stunde war Nina damit beschäftigt, Bildausschnitte zu wählen und abzulichten, Kameras und Objektive nach Bedarf zu wechseln, volle Filme in Döschen zu stecken und diese zu beschriften, bevor sie sie in eine der vielen Taschen ihrer Weste steckte. Als schließlich die Dämmerung hereinbrach, machten sie sich auf die lange Wanderung zurück durch den heißen, unwegsamen Dschungel. Die Luft war wie elektrisch aufgeladen von den Geräuschen der Insekten, Vögel und Affen, und der Himmel leuchtete rot wie frisches Blut. Eine orangefarbene Sonne spielte hinter den Bäumen Verstecken. Den ganzen Hinweg hatten sie geplaudert, doch ihr Abstieg verlief still und ernst. Die unmittelbaren Nachwirkungen waren für Nina immer am schlimmsten. Manchmal konnte sie kaum verdrängen, was sie gesehen hatte. Oft kehrten die Bilder tief in der Nacht als Alpträume zurück und ließen sie aus dem Schlaf hochschrecken. Häufiger, als sie zugeben mochte, wachte sie mit tränennassem Gesicht auf.
Am Fuße des Berges erreichte die Gruppe den kleinen Außenposten, der in diesem entlegenen Teil von Ruanda schon als Dorf betrachtet wurde. Dort bestiegen sie den Jeep und fuhren mehrere Stunden zum Conservation Center, wo sie weitere Fragen stellten und Nina noch mehr Fotos machte.
»Mrs Nina?«
Sie stand an der Tür und reinigte ein Objektiv, als sie hörte, dass jemand sie rief. Sie legte die Kamera beiseite, blickte auf und sah, dass der Leiter des Centers neben ihr stand. Trotz ihrer Müdigkeit rang sie sich ein Lächeln ab. »Hallo, Mr Dimonsu.«
»Tut mir leid, Sie zu stören, wenn Sie so beschäftigt sind, aber wir haben vergessen, Ihnen eine sehr wichtige Nachricht zu übermitteln. Mrs Sylvie hat angerufen und gebeten, sie zurückzurufen.«
»Danke.«
Nina holte das sperrige Satellitentelefon aus ihrer Tasche und trug es zu einer Lichtung in der Mitte des Camps. Mit dem Kompass prüfte sie kurz, in welcher Richtung der Satellit lag. Sie breitete die Schüssel des Telefons aus, stellte sie auf den Boden und drehte sie um sechzig Grad nach Nordost. Dann verband sie das Telefon mit der Schüssel und schaltete es ein. Eine LCD-Anzeige erwachte orangefarben blinkend zum Leben und zeigte ihr die Stärke des Signals an. Als es ausreichend schien, rief sie ihre Verlegerin an.
»Hey, Sylvie«, sagte sie, als diese sich meldete. »Ich hab heute die Wilderer-Fotos gemacht. Diese kranken Bastarde. Kannst du mir, sagen wir, zehn Tage geben, um sie zu dir durchzustellen?«
»Du hast nur sechs Tage. Wir
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