Ein Garten im Winter
mit seidigen Eiernudeln. Wenn sie sich nicht gewaltig zusammenriss, würde sie alles aufessen und am Nachmittag noch eine Meile joggen müssen. »Ach, ja?«
»Ich wollte das Feld in einen Weinberg umfunktionieren.«
Langsam ließ Meredith den Löffel sinken. »In einen Weinberg?«
»Der Golden Delicious ist nicht mehr unser bester Apfel.« Bevor sie widersprechen konnte, hob er die Hand. »Ich weiß, ich weiß. Unsere Plantage wurde mit Golden Delicious aufgebaut, aber die Dinge verändern sich eben. Teufel noch mal, Meredith, bald schreiben wir das Jahr 2001; Wein ist im Kommen. Ich bin der Meinung, wir könnten zumindest Eiswein und Spätlese anbauen.«
»In diesen Zeiten, Dad? Der asiatische Markt wird eng, und der Transport unserer Früchte kostet uns ein Vermögen. Der Wettbewerb wird immer härter. Im letzten Jahr hatten wir zwölf Prozent Gewinneinbußen, und dieses Jahr sieht es auch verdammt schlecht aus. Wir kommen gerade so über die Runden.«
»Du solltest deinem Vater zuhören«, bat ihre Mom.
»Ach, bitte, Mom. Seit der Modernisierung unseres Kühlsystems warst du nicht mehr im Lagerhaus. Und wann hast du dir eigentlich das letzte Mal die Jahresbilanzen angesehen?«
»Das reicht«, seufzte der Vater. »Ich möchte jetzt keinen Streit.«
Meredith stand auf. »Ich muss wieder zur Arbeit.«
Sie brachte ihren Suppenteller zur Spüle und wusch ihn aus. Dann gab sie die übriggebliebene Suppe in eine Tupperdose, stellte diese in den unglaublich vollen Kühlschrank und spülte den Topf. Als sie damit gegen das Abtropfgestell stieß, wirkte das Klappern in der stillen Küche ungebührlich laut. »Das war sehr lecker, Mom. Danke.« Sie verabschiedete sich kurz und verließ die Küche. In der Eingangshalle zog sie ihren Mantel über. Sie war schon auf der Veranda und atmete tief die kalte, scharfe Luft ein, als ihr Dad zu ihr trat.
»Du weißt doch, wie sie im Dezember und Januar ist. Im Winter hat sie es schwer.«
»Ich weiß.«
Er zog sie in die Arme und hielt sie fest. »Ihr beide müsst euch einfach mehr Mühe geben.«
Unwillkürlich war Meredith verletzt. Das hatte sie schon ihr ganzes Leben gehört; ein einziges Mal hätte sie gern von ihm gehört, ihre Mutter müsste sich mehr Mühe geben. »Das werde ich«, entgegnete sie und spielte ihre Rolle in dem kleinen Märchen, wie immer. Aber es stimmte, sie würde sich Mühe geben. Das hatte sie stets, doch ihre Mutter und sie würden sich nie näherkommen. Es war einfach viel zu viel passiert. »Ich hab dich lieb, Dad«, sagte sie und küsste ihn auf die Wange.
»Ich dich auch, Meredoodle«, erwiderte er grinsend. »Und denk mal über den Wein nach. Vielleicht werde ich doch noch Winzer, bevor ich sterbe.«
Sie hasste es, wenn er solche Scherze machte. »Sehr komisch.« Sie wandte sich ab, ging zum Wagen und startete den Motor. Dann setzte sie den SUV zurück und wendete. Durch den Schneeschleier auf der Windschutzscheibe konnte sie ihre Eltern im Wohnzimmer sehen. Ihr Vater zog ihre Mutter in die Arme und küsste sie. Dann begannen sie langsam zu tanzen, obwohl wahrscheinlich keine Musik im Haus lief. Ihr Dad brauchte auch keine Musik. Er behauptete immer, in seinem Herzen bewahre er viele Liebeslieder.
Meredith entfernte sich zwar von dieser intimen Szene, verweilte aber in Gedanken dort. Den gesamten restlichen Tag, während sie verschiedene Bereiche des Betriebs analysierte, Möglichkeiten suchte, den Gewinn zu maximieren, und endlose Management- und Planungsmeetings über sich ergehen ließ, ertappte sie sich immer wieder bei dem Gedanken, wie verliebt ihre Eltern gewirkt hatten.
Ehrlich gesagt, hatte sie nie verstanden, wie eine Frau ihren Mann leidenschaftlich lieben, ihre gemeinsamen Kinder aber verachten konnte. Nein, das stimmte nicht. Sie verachtete Meredith und Nina nicht. Sie waren ihr einfach gleichgültig.
»Meredith?«
Sie blickte abrupt hoch. Einen Augenblick war sie so in Gedanken versunken gewesen, dass sie völlig vergessen hatte, wo sie sich befand. An ihrem Schreibtisch. Bei der Lektüre des Schädlingsberichts. »Oh, Daisy. Tut mir leid. Ich hab dich wohl nicht klopfen hören.«
»Ich mache jetzt Feierabend.«
»Ist es schon so spät?« Meredith warf einen Blick auf die Uhr. Es war 18 Uhr 37. »Scheiße, ich meine, verdammt. Ich komme zu spät.«
Daisy lachte. »Du bleibst immer zu lange.«
Meredith fing an, ihre Unterlagen ordentlich zu stapeln. »Fahren Sie vorsichtig, Miss Daisy« – das war ein alter
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