Ein Garten im Winter
nicht im Ernst von mir verlangen.«
»Doch, das tue ich. Ich verlange es von dir. Schreib, was der Schwarze Ritter dir befiehlt. Es sind doch nur Worte.«
»Nur Worte?«
»Pjotr«, sagt ihre Mutter, nun unter Tränen, und das macht Vera Angst. Noch nie hat sie ihre Mutter weinen hören. »Ich habe Angst um dich.« Und dann sagt sie noch einmal, nur leiser: »Ich habe Angst um dich.«
Er nimmt sie in die Arme. »Ich bin vorsichtig, immer.«
Verwirrt schließt Vera die Tür. Sie versteht nicht alles, vielleicht nicht mal einen Teil dessen, was sie gehört hat, aber sie weiß, dass ihre starke Mutter Angst hat, und das ist vollkommen neu.
Aber Papa wird niemals zulassen, dass ihnen etwas zustößt …
Sie nimmt sich vor, ihre Mutter am nächsten Tag nach dem Streit zu fragen, aber als sie aufwacht, scheint die Sonne und lässt sie alles vergessen. Stattdessen stürzt sie ins Freie.
Ihr geliebtes Königreich erblüht in voller Pracht und weckt auch ihre Frühlingsgefühle. Wie kann denn etwas Böses geschehen, wenn die Sonne scheint?
Sie ist so glücklich, dass es sie nicht mal stört, ihre kleine Schwester mit in den Park zu nehmen.
»Vera, sieh mal! Sieh mal, was ich kann!«, ruft die zwölfjährige Olga ihr zu und schlägt ein paar Räder.
»Schön«, sagt Vera, sieht aber in Wahrheit kaum hin. Sie lehnt sich auf ihrer Bank zurück, schließt die Augen und hebt ihr Gesicht zur Sonne. Nach dem langen, kalten Winter fühlt sich die Wärme auf ihrer Haut einfach wundervoll an.
»Zwei Rosen bringe ich Euch dar.«
Langsam öffnet Vera die Augen und entdeckt vor sich den hübschesten Jüngling, den sie je gesehen hat.
Prinz Alexander. Jedes Mädchen kennt sein Gesicht.
Seine Kleider sind vollendet schön und mit goldenen Perlen bestickt. Hinter ihm steht eine strahlend weiße Kutsche, die von vier Schimmeln gezogen wird. In der Hand hält er zwei Rosen.
Sie antwortet mit der nächsten Zeile des Gedichts und freut sich, dass ihr Vater sie so viel hat lesen lassen.
»Du bist doch viel zu jung für Poesie«, sagt er, und sie merkt, dass er beeindruckt ist. »Wer bist du?«
Sie richtet sich auf und strafft ihren Körper in der Hoffnung, dass er ihren sprießenden Busen bemerkt. »Veronika. Und so jung bin ich gar nicht.«
»Wirklich? Ich wette, dein Vater würde nicht erlauben, dass ich dich ausführe.«
»Ich brauche niemandes Erlaubnis dazu, Eure Hoheit«, behauptet sie und spürt, wie ihre Wangen sich röten.
Er lacht, und es klingt wie Musik.
»Nun denn, Veronika. Dann sehen wir uns heute Nacht, um elf Uhr. Wo finde ich dich?«
Elf Uhr. Zu dieser Zeit sollte sie längst im Bett liegen. Aber das kann sie nicht zugeben. Vielleicht könnte sie so tun, als wäre sie krank, ein paar Kissen unter ihre Decke stopfen und dann aus dem Fenster klettern. Außerdem wird sie etwas Magie brauchen, um ein Kleid zu bekommen, das eines Prinzen würdig ist. Denn sicher will er nicht mit einem armen Bauernmädchen in einem abgetragenen Leinenkleid gesehen werden. Vielleicht kann sie sich zum Sumpf schleichen, wo die Hexen Liebe gegen einen Finger eintauschen. Bei diesem Gedanken blickt sie kurz zu ihrer Schwester, die den Prinzen bemerkt hat und sich ihnen nähert.
»Auf der verzauberten Brücke«, sagt sie.
»Ich glaube, du kommst nicht und lässt mich da stehen.«
Olga kommt näher und ruft ihren Namen.
»Nein, ehrlich, ich werde kommen.« Sie wirft einen Blick zu Olga und zuckt zusammen, als sie sieht, wie nah sie schon ist. »Ich komme. Geht, Prinz Alexander. Wir sehen uns dort.«
»Nenn mich Sascha«, bittet er.
Und da verliebt sie sich in diesen lächelnden jungen Mann, der so unpassend für sie ist. Über ihrem Stand. Und gefährlich für ihre Familie. Sie blickt auf ihre weißen schmalen Hände, sieht die Schwielen vom Wäschewaschen auf den harten Steinen, und fragt sich, welchen Finger sie für die Liebe opfern würde … und wie viele Finger nötig sind, dass der Prinz ihre Liebe erwidert.
Doch dies sind Fragen, auf die es keine Antwort gibt, die bedeutungslos sind, zumindest für Vera, denn die Liebe ist schon da. Sie und ihr hübscher Prinz brennen durch, verlieben sich ineinander und heiraten. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. «
»Ende«, sagte die Mutter und stand auf.
»Anja«, erwiderte der Vater scharf. »Wir sind uns doch einig –«
»Nicht mehr.« Sie lächelte ihren Enkelinnen kurz zu und verließ das Zimmer.
Im Grunde war Meredith erleichtert. Trotz ihrer
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