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Ein Gebet für die Verdammten

Ein Gebet für die Verdammten

Titel: Ein Gebet für die Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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geraten. Der gesetzlich verbindliche Text des
Crith Gabhlach
verpflichtete jeden Clan, eigens einen
úaithne,
eine Person zu benennen – man nannte sie Säule oder Stütze der Gesellschaft –, die abzusichern hatte, daß es den Alten an nichts mangelte. Sie mußten angemessene Zuwendungen und Fürsorge erhalten, niemand durfte ihnen Schaden zufügen oder einen Schimpf antun. Im
Senchus Mór
hieß es ausdrücklich über die Alten, daß der Clan verpflichtet sei, jedes seiner Mitglieder zu unterstützen.
    Wurde das Oberhaupt einer Familie zu alt und gebrechlich, um die Geschicke zu lenken, gestattete ihm das Gesetz, sich zurückzuziehen und die Verantwortlichkeiten an den Nächsten der Sippe weiterzugeben. Er und seine Frau oder Witwe mußten bis ans Lebensende von den anderen unterhalten werden. Wenn sie es wünschten, konnten sie mit ihren nächstenAnverwandten zusammenleben, zogen sie es aber vor, in einem gesonderten Haus zu wohnen, mußte die Wohnstatt, die sogenannte
inchis,
von der Familie instand gehalten werden. Existierten keine Kinder oder nahe Verwandten, die man zur Verantwortung ziehen konnte, mußte entsprechende Hilfestellung unter der Aufsicht eines
úaithne
gewährleistet sein. Alte und Gebrechliche waren mindestens einmal in der Woche zu waschen, wöchentliche Kopfwäsche war gesondert ausgewiesen, und mindestens alle zwanzig Tage sollte ein Vollbad erfolgen. Selbst für Verpflegung und Brennmaterialien gab es präzise Festlegungen.
    Oft genug packte Fidelma, die sehr belesen und weitgereist war, das helle Entsetzen, daß in anderen Kulturen so gut wie gar keine Vorsorge für die Kranken, Alten und Armen getroffen wurde.
    »Eure Eltern wären also im Alter und bei Krankheit ohne Hilfe von Angehörigen ihres Stammes geblieben?«
    »Dem Alter wird kein Respekt gezollt«, bestätigten sie. »Was können Alte schon zum Wohle der Gemeinschaft beitragen?«
    Fidelma machte ihrem Unmut Luft. »Sie haben ihren Beitrag doch bereits geleistet. Zudem ist das höchste Gut ihre Weisheit. Vom alten Hahn lernen die jungen das Krähen«, zitierte sie eine aus alten Zeiten überlieferte Redewendung.
    Bruder Naovan hatte für ihre Vorhaltungen nur ein Achselzucken übrig.
    »Wir konnten sie also nicht zurücklassen«, wiederholte er, »und nahmen sie mit. Sie hielten an ihrer Tradition fest, hingen am alten Glauben und waren nicht davon abzubringen.«
    »In den fünf Königreichen gibt es mehr als genug Menschen, die sich nicht gänzlich dem Neuen Glauben verschriebenhaben«, meinte Fidelma. »Sonderliche Probleme bringt das für sie nicht.«
    »Für uns war es schlimm genug«, brummte Bruder Pecanum verbittert.
    »Wie gesagt, wir nahmen sie mit«, fuhr sein Bruder fort. »Wir faßten in der Gemeinschaft von Colmán Fuß und bauten ihnen ein kleines Haus,
inchis
nennt ihr das wohl. Es war ein Haus ganz in unserer Nähe, wo sie bis zum Ende ihrer Tage in Frieden hätten leben können. Alles ging gut, bis dieser arrogante Prälat aus Cill Ria auftauchte und verlangte, daß unsere Gemeinschaft den Bischof von Ard Macha als Oberhaupt aller Kirchen im Lande anerkennen sollte. Wir Angeln und Sachsen verstanden überhaupt nicht, was das sollte. Aber Abt Colmán wehrte sich heftig dagegen, und die meisten deiner Landsleute, die in unserer Gemeinschaft lebten, taten es ihm gleich. Andere hingegen sprachen sich für die Forderungen von Abt Ultán aus.
    Es ging hoch her. Am Ende verließ Bruder Gerald unsere Insel und zog zusammen mit seinen Anhängern, überwiegend Angelsachsen, nach Maigh Éo auf das Festland und gründete eine neue Gemeinschaft. Doch Abt Ultán gab keine Ruhe, er kam wieder und sorgte für neuen Streit.«
    »Aber wieso waren euer Vater und eure Mutter davon betroffen? Sie gehörten doch nicht zu der Gemeinschaft, vertraten nicht deren Glauben.«
    Bruder Pecanum stöhnte gequält auf; Naovan beugte sich vor und strich ihm besänftigend über den Arm. Auch er war schmerzlich berührt.
    »Es geschah, als Abt Ultán unsere Insel verließ. Er war in Begleitung von Bruder Drón und einem Dutzend Männer, Krieger, vielleicht auch Söldner aus seinem eigenen Land, die er für seine Reise zu seinem persönlichen Schutz angeheuerthatte. Ich kann mir gut vorstellen, daß er Leibwächter brauchte, ohne die hätte man sich seine Unverschämtheiten nicht so lange bieten lassen. Sie waren auf dem Weg zu dem Meeresarm, wo ihr Boot lag, das sie wieder zum Festland bringen sollte. Der Weg führte am Haus unserer Eltern

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