Ein Gebet für die Verdammten
ritten sie eine Weile nebeneinander her, als ein Ruf die Stille durchschnitt.
»Hóigh! Hóigh!«
tönte es.
Diesmal klang es nach einem Hilferuf. Sie brachten die Pferde zum Stehen und lugten angestrengt durch die Bäume.
Atemlos und mit gerötetem Gesicht tauchte einer der Hundeführer auf. Er war sichtlich erleichtert, als er Gormán sah, hastete auf ihn zu und überschlug sich fast beim Sprechen. Gormán mußte sich zu ihm herunterbücken, um etwas zu verstehen, und an Eadulf ging der Redeschwall vollends vorüber. Dann drehte sich Gormán zu Eadulf um und winkte ihn mit ernster Miene heran.
»Was gibt es?«
»Etwas, das deine Aufmerksamkeit verlangt.« An den Hundeführer gewandt, fragte er kurz: »Wie weit ist es?«
Mit ausgestreckter Hand wies der Mann hinter sich. »Nicht weit, geradewegs durch die Bäume dort. Die Lichtung dahinter heißt Cúil Rathan, Bach der Farne. Ich bring euch hin. Ihr müßt absteigen und die Pferde führen. Der Weg ist völlig zugewuchert. Bei den tief hängenden Zweigen ist für Reiter kein Durchkommen.«
Sie saßen ab und folgten ihm. Mit raschem Schritt führte er sie auf einem schmalen, sich windenden Pfad durch den dunklen Wald, der mit Eichen, Buchen und Kastanien bestanden war, und weiter durch ein Dickicht von Ginster, Brombeeren und Farnen, die in ihrem braunweißen Winterkleid standen. Dann stapften sie nur noch durch Unterholz. Vor ihnen lag ein kleiner Hügel. Den erklomm der Mann und zeigte schweigend nach unten.
Eadulf und Gormán ließen die Pferde stehen und kletterten auf die Anhöhe. Sie blickten hinab. Unten lag rücklingshingestreckt ein großer Mann; ein reich verzierter blauer Umhang umhüllte die Schultern.
Eadulf spürte, wie plötzlich sein Mund trocken wurde. Der blaue Umhang war ihm wohl vertraut.
Er begab sich zu der Gestalt und kniete neben ihr nieder. Die befremdlich fahlen, todesbleichen Züge, die straffe Haut, die das knöcherne Gesicht überspannte, das lange dunkle Haar ließen keine andere Deutung zu. Zwei Dinge waren Eadulf auf Anhieb klar: Bei dem Mann handelte es sich um Muirchertach Nár, und er war tot.
Gedankenverloren ging Fidelma hinunter in die Stadt, wo man jenseits des großen Platzes eine Unterkunft für die frommen Brüder unter den Gästen errichtet hatte. Dort angekommen, stieß sie auf den Herbergsvater, der die Anlieferung von Strohsäcken überwachte. Zwei Männer waren damit beschäftigt, einen Wagen zu entladen. Der Herbergsvater grüßte Fidelma mit betrübtem Lächeln.
»Schade, daß deine Hochzeit aufgeschoben werden mußte, Lady.«
Fidelma war es müde, immer wieder Äußerungen des Bedauerns zu hören. Ihr vor allen anderen tat es am meisten leid. Am liebsten hätte sie ihr Pferd genommen und wäre fortgeritten. O ja, über die weiten Ebenen reiten und all die traurigen Gesichter, den Ärger und das ganze Durcheinander hinter sich lassen.
»Kann ich irgendwie behilflich sein, Lady?«
Rasch fand sie in die Gegenwart zurück. »Soviel ich weiß, wohnt hier bei dir ein Angelsachse namens Berrihert.«
»Ja, er und seine beiden Brüder – Blutsbrüder, nicht nur Glaubensbrüder – und dann noch der alte Vater.«
»Bruder Berrihert, den hätte ich gern gesprochen.«
»Ausgerechnet der ist nicht da. Er hat die Herberge schon vor Sonnenaufgang verlassen. Wohin er gegangen ist, weiß ich nicht.«
Fidelma war enttäuscht. Sie hatte noch vor Eadulfs Rückkehr einige Fragen klären wollen. Sie wandte sich schon zum Gehen, als der Herbergsvater hinzufügte: »Aber seine beiden Brüder sind da. Vielleicht wissen die, wo er hin ist.«
Fidelma bedankte sich bei ihm und begab sich zu dem großen Zelt.
Drinnen fand sie nur zwei Männer vor. Sie waren ziemlich jung, beide hatten blondes Haar. Bei ihrem Eintreten erhoben sie sich. Ihr fiel auf, daß sie wie Glaubensbrüder gekleidet waren und das Haar zur Tonsur des heiligen Johannes geschoren hatten – lang und nach hinten fließend, vorne alles glatt rasiert entlang einer Linie, die von einem Ohr zum anderen ging.
»Seid ihr die Brüder von Berrihert?« fragte sie.
Sie verständigten sich kurz mit Blicken, und der eine verbeugte sich andeutungsweise, ehe er antwortete: »Ja, sowohl Blutsbrüder als auch Brüder in Christo.«
»Ich bin Fidelma, und wie heißt ihr?«
Der Jüngere der beiden lächelte. »Wir wissen, wer du bist, Schwester. Wir haben dich auf der Synode von Whitby gesehen. Ich bin Naovan, und mein Bruder heißt Pecanum.«
»Angelsächsische Namen
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