Ein gefährliches Werkzeug
behaupten, er sei noch einmal umgekehrt?«
»Kam zurück und sah recht sonderbar und übel aus,« erwiderte White. »Hielt sich etwa zehn Minuten auf und sah, als er herauskam, aus, als ob er Gespenster gesehen hätte.«
»Glauben Sie, daß Gale Sie gar nicht erkannt hat?« fragte Prickett.
»Soviel ich weiß, hat er mich überhaupt nur einmal gesehen – auf dem Bahnsteig von Sandy Park.«
Mit einem für ihn ganz ungewöhnlichen Lächeln und mit liebenswürdiger Miene sagte Prickett: »Ich habe zwar Gale versprochen, ihn nicht beobachten zu lassen, aber bei näherer Ueberlegung will ich es doch thun. Ich glaube, mein Gewissen wird sich darüber leicht beruhigen können.«
»Sie wünschen, daß ich ihn weiter beobachte?« fragte White.
»Ja,« erwiderte sein Vorgesetzter, »es wird am besten sein, Sie gehen wieder zurück.«
Als White sich entfernt hatte, sing Prickett an, im Zimmer auf und ab zu wandeln, wobei er dann und wann stehen blieb und sich mit nachdenklicher Zufriedenheit die Hände rieb.
»Ich konnte anfangs aus Reubens Gesicht gar nicht klug werden,« flüsterte er vor sich hin. »Jetzt verstehe ich esschon eher. Er war übervoll von Bewunderung für die Unverfrorenheit dieses jungen Anfängers, der sich mir bei der Untersuchung anschloß. Es ist ein wahres Vergnügen, mit ein paar solchen Menschen zu thun zu haben. Der Herr segne Sie. Herr Wyncott Esden, die Kastanien werden aus dem Feuer geholt werden, aber wir wollen sehen, mit wessen Pfoten. Uebrigens ist es doch schade zu sehen, wie ein so gewandter junger Mann sich thörichterweise seine Aussichten verdirbt. Natürlich macht er es äußerst klug, aber was nützt es, gut Whist spielen, wenn alle Karten gegen einen fallen?«
Zwölftes Kapitel.
Als Wyncott Esden den Laden Gates verlassen hatte, lief er eine geraume Zeit lang ziellos dahin. Alles um ihn her war zusammengestürzt und er stand den Ereignissen für den Augenblick ratlos und verwirrt gegenüber.
Esden gehörte zu den Menschen, denen ihre eigene gute Meinung notwendig ist, um sich des Beifalles der andern behaglich erfreuen zu können. Obgleich er es nicht an Gelegenheit hatte fehlen lassen, sich selbst vom Gegenteil überzeugen zu können, so hielt er sich doch für einen Mann von unbefleckter Ehre, und wäre er reich gewesen, so hätte ihn dieser Glaube bis ins Grab geleitet. Allein, wenn auch sein Ehrgefühl nie so wenig Elasticität besessen hatte, als er glaubte, so hatte er diese doch bis gestern nie ernstlich auf die Probe gestellt.
Wegen der J. P.'schen Angelegenheit hatte er sich recht unbehaglich gefühlt. Er hatte seine freundschaftlichste und verführerischste Überredungskunst aufgeboten, um dies schwache Geschöpf zu umgarnen, allein seine schlüpfrige Beweisführung war ihm weniger vertrauenerweckend erschienen als seinem vertrauensseligen Opfer. Keinen Augenblick war er auf diesen Sieg stolz gewesen, denn er war ihm als seiner unwürdig, als zu leicht erschienen.
Nun aber war ihm der Gedanke sehr bitter, daß das, was gut und freundlich in ihm war, ihn an den Abgrund der unerträglichsten Selbstverachtung gelockt hatte. Wäre nicht sein Mitleid mit diesem rückgratslosen Sündenbock gewesen, so hätte er den Sprung nie gewagt, den er selbstverständlich in der Hoffnung unternahm, sich selbst so wenig als möglich dabei zu schaden.
In dieser wunderlichen Welt gibt es nur wenig, was wunderlicher wäre, als die völlige Blindheit, von der die klügsten Menschen befallen werden, wenn sie die Offenbarungen ihres eigenen Charakters beurteilen. Wäre die Versuchung an Esden unter Umständen herangetreten, die ihn vor ihr bewahrt hätten, so hätte er mit Entrüstung die Unterstellung zurückgewiesen, diese Versuchung sei überhaupt eine solche für ihn gewesen. Als er J. P. zur Unterzeichnung des Wechsels überredete, wußte er, daß er sich einer Gemeinheit schuldig mache, allein dies hatte nicht vermocht, seinen Glauben an sich als an einen Mann von Ehre zu erschüttern. Sein leichter Sinn und sein großes Anpassungsvermögen hatten ihn in kürzester Frist wieder mit sich ausgesühnt, und selbst als er so tief gesunken war, sich an Fräulein Pharrs Eigentum zu vergreifen, war die That noch leine Stunde alt, als er schon anfing, sich zu rechtfertigen.
Fünf Minuten, ehe er sie vollbracht, hatte er noch mit keinem Gedanken daran gedacht. Durch reinen Zufall war er über Wootton Hill hinausgefahren, in seine peinlichen Gedanken versunken. Der Boomer wäre eine sichere
Weitere Kostenlose Bücher